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Schauspielerin Angela Winkler: „An meiner Hand trage ich einen Ring aus dem Kaugummiautomaten“

Angela WinklerAngela Winkler ist die Schauspielerin mit dem Muttermal über der Oberlippe. Wir kennen sie aus der Titelrolle des Films „Die verlorenen Ehre der Katharina Blum“, aus der „Blechtrommel“, der Netflix-Serie „Dark“ und aus ihren zahlreichen Theaterrollen an der Berliner Schaubühne. Im Januar hat sie ihren 76. Geburtstag gefeiert. „Das blaue Zimmer“ heißt das Buch, das die großartige Künstlerin über ihr Leben geschrieben hat. Es ist schmal, trägt den bescheidenen Untertitel „Autobiographische Skizzen“, und doch ist es verblüffender und ehrlicher als manch dicker Schmöker. Auf ihre ganz eigene Art erzählt Angela Winkler von ihrer Familie, ihrer Mutter, die über hundert Jahre alt wurde, der Geburt ihrer vier Kinder, darunter Tochter Nele, die mit dem Down Syndrom zur Welt kam, von ihrem Mann Wigand und den vielen verfallenen Häusern in Italien und Frankreich, die sie gemeinsam mit ihm umgebaut hat. Die Schauspielerin lebt in Berlin und in der Bretagne. Hier 12 Zitate aus ihrem Buch:

1. Meine Mutter war ehrgeizig. Sie wollte, dass ich einen Prinzen heirate. Zumindest einen Arzt. Sie wollte, dass ich mich vornehm kleide, mit hellen Stoffen, hohen Schuhen. Nichts davon habe ich gemacht. Habe weder einen Prinzen noch einen Arzt gesucht, sondern bin mit den Arbeiterjungen hinten auf dem Moped in den Wald gefahren.

2. Je älter ich werde, desto mehr liebe ich wildes Wetter.

3. Gerade habe ich die Haare abgeschnitten und fühle mich leichter, offener, beschwingter. Komisch, dass die Länge der Haare bei einer älteren Frau so viel ausmacht. Den Hals muss man etwas sehen, wie er von der Schulterpartie aus in die Höhe strebt, und der Kopf wird sofort freier und lebendiger. Den alten Hals sieht man dann allerdings.

4. An meiner Hand trage ich einen Ring aus einem Kaugummiautomaten, den mir Wigand geschenkt hat.

5. Ich habe Honig in kleine Gläser abgefüllt. Es sind ungefähr 80 Gläser geworden. … Ich male eine Blume mit vier Blütenblättern und in der Mitte knallroten Staubgefäßen als Etikett. Rundherum ist es sonnengelb und ich schreibe in lindgrün: Miel de Bretagne – Kerhuet, Wigand und das Abfülldatum. Bisher haben wir alle Gläser verschenkt. Für mich gibt es nichts Schöneres als ein Brot mit Salzbutter und Wigands Honig.

6. Als Mutter macht man sich abhängig von den Kindern. Man wird unbeweglich und unfrei in seinen Handlungen. Davor habe ich mich immer in Acht genommen, dass ich meine Art, spontane Entschlüsse zu treffen, nicht verliere.

7. Ich habe eine Ablehnung, „perfekt“ zu sein. Jeder Mensch muss heute, ob er will oder nicht, 100 Prozent perfekt sein, um allem gerecht zu werden. Und genau das will ich nicht, ich sträube mich dagegen. Vielleicht, weil ich Nele habe. Das ist das, was ich immer mit Wurstigkeit gegenüber dem Beruf meine. Ich will mich nicht aus der Ruhe bringen lassen durch irgendeinen Ehrgeiz. Ich will nichts beweisen müssen.

8. Was ist ein Sorgenkind? Ein Kind, von dem man als Mutter denkt, es wird ihm später nicht gut gehen in der Welt, weil sie es für zu sensibel, zu passiv, zu faul, zu böse, zu lieb hält. Nele ist also kein Sorgenkind. Sie ist behindert, und das sieht jeder und verhält sich entsprechend. Und: Nele ist in sich glücklich. Sie bekommt nur Liebe und Aufmerksamkeit und alle Rücksichtnahme. Ein „gesundes“ Kind hat es da schwerer. Man misst es an Maßstäben, man vergleicht es mit anderen „gesunden“ Kindern und verlangt etwas von ihm. Von Nele verlangt man nichts. Man nimmt sie wie sie ist und freut sich.

9. Von Nele habe ich unheimlich viel gelernt. Sie spielt seit über zwanzig Jahren am RambaZamba Theater. Ich bin mit ihr durch die Welt gezogen und habe alles getan, damit sie so leben kann wie ihre Brüder, wie ein ganz normales Kind. Durch sie habe ich gelernt, den Mund aufzumachen, zu kämpfen. Ohne sie würde ich anders Theater spielen. Diese Menschen mit Downsyndrom sind so geradeaus. Sie sagen einen Satz, und der steht dann da. Einfach und klar. Sie drücken sich unverstellt aus, sagen, was sie denken was sie fühlen. Mit ihnen kann man so viel lachen, sich freuen, sehen, was für ein großes Mitgefühl sie für andere Menschen haben.

10. Ich versuche, wahr und einfach zu sein. Aber manchmal habe ich keinen Schutzmantel um mich.

11. Die Fantasie des Schauspielers ist sein eigenes Erleben. Es muss glaubwürdig sein. Verlangt eine schonungslose Offenheit. Um mich so preisgeben zu können, mich ganz nackt machen zu können, brauche ich ein Gegenüber, dem ich vertrauen kann. Einen Regisseur, der sagt: Ich liebe dich, deine Gestalt, deine Bewegung, dein Denken, deine Stimme, dein Innehalten, dein Zögern, dein Nichtwissen, dein Suchen, deine Unsicherheit. Dann kann ich über Grenzen gehen.

12. Ich mache so viel mit den Händen. Die sind breit und kräftig wie Arbeiterhände. Schon als ich jung war, traten die Adern hervor, die Fingernägel sind kurz, wenn sie wachsen, brechen sie gleich ab, eben weil ich keine Arbeitshandschuhe anziehe. Überhaupt ziehe ich nicht das an, was ich vielleicht anziehen sollte.

Alle Zitate aus: Angela Winkler: Mein blaues Zimmer. Autobiographische Skizzen. Köln 2019.
Foto: Elena Zaucke

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