Wer an Peter Lindbergh denkt, der denkt meist zuerst an das Vogue Cover mit den fünf wunderschönen und blutjungen Models (Tatjana Patitz, Linda Evangelista, Christy Turlington, Naomi Campbell und Cindy Crawford), die als sogenannte Supermodels danach jahrelang die Modebranche dominierten. Ein Cover, das so anders war als die glitzy-glamour Bilder von Frauen mit Turbanen, Goldschmuck und kleinen Hunden, die bis dahin die Modemagazine prägten.
Aber es waren nicht ihre Jugend und auch nicht ihre perfekten Körper, die Peter Lindbergh faszinierten.
Er wurde nicht müde herauszustellen, dass die Frauen, die er damals für das Fotoshooting versammelte, extrem intelligente, starke Persönlichkeiten waren, die genau wussten, was sie wollten. Frauen, die sich frei von sozialen Konventionen fühlten, die sich von ihm auch ohne Make-up und in schlichten weißen Männerhemden ablichten ließen, für eine Fotoserie, die den Stil der Modefotografie für Jahrzehnte prägen würde.
Als die deutsche Vogue 30 Jahre alt wurde, erschienen drei Jubiläumsausgaben, eine davon von Peter Lindbergh (die anderen von Karl Lagerfeld und Bruce Weber). Damals war ich 37 Jahre alt. Bis heute kann ich mich daran erinnern, wie ungewöhnlich ich es fand, in diesem Hochglanzmagazin, in dem die meisten Models sonst vielleicht grob halb so alt waren wie ich damals, auf einmal ein Fülle von – wunderschönen und ausdrucksstarken – Frauen zu sehen, die auch mal gut doppelt so alt waren wie ich. Sinnlich sahen sie aus und stark und echt. Jeanne Moreau, Pina Bausch, Julianne Moore, Veruschka, um nur ein paar Namen zu nennen. Diese Vogue-Ausgabe hat mich zum Peter Lindbergh-Fan werden lassen.
Glatt und lächelnd, so wollte Peter Lindbergh seine Models nicht.
Der Fotograf, der in Duisburg im Ruhrgebiet, aufwuchs, und seit 2001 mit einer Kölnerin verheiratet war, wollte den Menschen hinter der Fassade. Bei vielen seiner Fotoshootings zog er – nach dem Make-up und dem Styling – alleine mit dem Model und nur einer kleinen Kamera in der Hand durch die Straßen. Immer auf der Suche nach dem Überraschenden, dem Interessanten, dem Wirklichen. Fast immer geht es um Blicke, Blicke, bei denen man als Betrachter das Gefühl hat, sie treffen einen, berühren einen. Blicke von Menschen, die sich geöffnet haben, die ganz bei sich sind, mit all dem, was sie erlebt haben.
Keine Überraschung ist es deshalb, dass es gerade die Portraits älterer Frauen sind, die sein Werk so besonders machen.
Hier meine zehn liebsten Zitate dieses außergewöhnlichen Fotografen:
- Frauen müssen befreit werden von der Idee, dass sie immer jung bleiben müssen und sich dafür in einem bestimmten Alter verunstalten lassen. So verschwinden ihre ganzen Spuren vom Leben. Man sammelt doch in seinem Gesicht und seinem Körper irgendwie an, was man gelebt hat. Wenn man unglücklich ist, wenn einem die eigene Nase nicht passt und man sein ganzes Leben lang durchs Leben läuft und sagt: „Mensch, ich bin ja so hässlich.“ Wenn die Person dann daran was macht und sich freut, dass die Nase jetzt spitzer ist, und sich mehr so fühlt, wie sie immer aussehen wollte: wunderbar. Das soll man niemandem wegnehmen. Aber diese Jugendkomplexe sind so unsinnig.
- Wenn es nur um die Mode ginge, sollte man Kleider besser vor einem weißen Hintergrund ablichten. Es geht aber um die Frau: Ein gutes Modefoto ist ein treffendes Porträt einer tollen Frau.
- Ich meditiere seit vierzig Jahren. Dadurch weiß man ein bisschen besser, wer man ist. Man muss einfach den Zugang zu allen Sachen finden, die man so gesehen hat. Alles, was man sieht, alles, was man hört und riecht, und alles, was man sagt, bleibt in einem drin. Das ist da, in einem selber, und das muss man benutzen. Die meisten Leute wissen das nicht. Den größten Schatz der Welt schleppen sie mit sich herum.
- Duisburg ist nicht unbedingt die allerschönste deutsche Stadt, aber das stört mich nicht. Ich empfinde eine ganz besondere Nähe und Zärtlichkeit für sie. Manchmal mache ich noch einen Abstecher dorthin, wenn ich etwas Heimatluft schnuppern möchte. Wenn man über die Brücken guckt und die ganzen Fabriken sieht, hat das einen besonderen Charme. Wenn ich Leuten aus Paris oder New York stolz zeige, wo ich aufgewachsen bin, fassen die sich an die Stirn und denken sich: «Der hat doch nicht alle Tassen im Schrank!»
- Ich bin gerne auf Instagram, wir haben auch einen Account. Allerdings zeigen wir nur hochwertige Fotos, nichts Privates – und erst recht nicht, was ich gestern zu essen hatte. Das Furchtbare an Instagram ist, wie die Leute sich selbst in den Vordergrund stellen oder mit vermeintlich wichtigen Botschaftern posieren. Das Prinzip Instagram halte ich aber für phantastisch. […] Was soll ein Junge, der in der Mongolei sitzt und sich für Fotografie interessiert, sonst machen? Für ihn ist Instagram doch ein Tor zur Welt.
- Alle fragen mich immer: Was ist denn ihr Trick? Da sage ich immer, da ist kein Trick. Ich mag einfach Leute unheimlich gern. Das geht dann von selber. Wie ich früher immer gesagt hab, bei Newton kommen die Leute rein ziehen sich sofort die Bluse aus und sagen Guten Morgen Helmut. Und bei mir bringen die wirklich viel von sich selber mit und sind bereit, das auch zu zeigen, weil sie denken, dann kriege ich was, was ich sonst nicht von mir sehe.
- Ich habe mal ein nicht sehr vorteilhaftes, aber interessantes Foto von Jeanne Moreau gemacht und sie darum gebeten, es leicht retuschiert veröffentlichen zu dürfen. Sie war damals 78 und sagte erstaunt: „Aber Peter, was willst du denn da retuschieren?“ Ich würde sagen, Moreau ist die Frau, die ich am liebsten fotografiert habe.
- Als ich anfing, kamen viele Models aus Schweden, waren blond, hatten perfekte Beine und lachten wunderschön. Die waren 1,73 Meter – für damalige Verhältnisse war das groß. Heute sind die Models um die 1,80 Meter, kommen aus Osteuropa und wiegen wenige, wenige Kilos. Die hungern sich zu Tode, das kann man als intelligenter Mensch nicht gut finden.
- Ich habe über die Jahre noch mehr erkannt, dass Schönheit nichts mit Jugend zu tun hat. Einen echten Menschen, der sein ganzes Leben im Gesicht trägt, vor sich sitzen zu haben, ist toll. Und selten.
- Wen findet ein Mann, der beruflich die schönsten Frauen der Welt mustern musste, heute selbst außergewöhnlich schön? Da muss ich der jungen Generation eine Enttäuschung bereiten: Mir gefällt Charlotte Rampling, die ist siebzig.
Peter Lindbergh starb am 3. September 2019 im Alter von 74 Jahren.
- Zum Weiterhören: Vogue Stories. „Peter Lindbergh, wie führt man ein gutes Leben?“ 5. SEPT 2019 Podcast https://open.spotify.com/episode/24ENGT2ArLRPObaU41FNTI?si=vMTB9hslTJSAYgLJjlBWLA
- Zum Weiterschauen: Peter Lindbergh – the supermodel photographer | DW Documentary https://www.youtube.com/watch?v=y-Rsf5fYQ4I
- Jean Michel Vecciets Dokumentation Peter Lindberghs Leben aus Sicht der Frauen, die ihn gekannt und geliebt haben, „Peter Lindbergh – Women’s Stories“, erscheint am 11. Oktober 2019 auf DVD. Hier geht’s zum Trailer.