Die Soloschau der Textilkünstlerin Olga de Amaral in der Fondation Cartier in Paris ist eine große Entdeckung!
Boulevard Raspail im Montparnasse. Ich reihe mich ein in die lange Schlange der Besucher vor dem gläsernen Gebäude der Fondation Cartier, das der französische Architekt Jean Nouvel wie ein Aquarium konzipiert hat. Alle Besucherinnen werden in diesem privaten Ausstellungshaus eine grandiose Ausstellung sehen.
Jede einzelne Tapisserie ist eine Entdeckung, eine ganz eigene Welt, die eine magische Stimmung verbreitet. Sind es Blätter? Adern aus Gold und Silber? Landschaften von fremden Sternen? Sie schweben an unsichtbaren seidenen Fäden von der Decke, zittern im Wind und fallen sanft zu Boden.
In ihrem Heimatland Kolumbien wird Olga de Amaral als Berühmtheit verehrt.
In der europäischen Kunstszene war sie lange eine Unbekannte, obwohl sie in Museen von Chicago über Kyoto bis Paris vertreten ist und 1989 auf der Biennale in Venedig vertreten war. Das mag mit der von der Künstlerin gewählten Technik zusammenhängen. Textiles und Weben werden im hiesigen Kontext leider immer noch als die weniger bedeutende Kunst betrachtet. Malerei und Skulptur gelten als bedeutender.
Die meisten der rund 80 Werke der 92 Jahre alten Textilkünstlerin haben zum ersten Mal den Atlantik überquert und werden nun in Europa gezeigt. In einer grandiosen Ausstellung, die gerade ganz Paris begeistert und jede Erwartung in Bezug auf Textilkunst übersteigt.
Allein schon die Hängung der Arbeiten ist bemerkenswert.
Ein Teil der Werke hängt an den Wänden, der andere Teil schwebt von der Decke. Die Arbeiten strukturieren den Raum. Man läuft an ihnen entlang oder um sie herum, sieht die Vorder- und -rückseiten und das Licht, das durch die Muster scheint.
Die textilen Kunstwerke haben eine einzigartige Farbigkeit und Struktur. Einige Oberflächen sind glänzend und zerfallen wie Mosaiken in Tausende Gold- und Silberfragmente. Andere bestehen aus Rosshaar und anderen voluminösen Materialien, die sich in mehreren locker geflochtenen oder gewebten Schichten verschränken, bevor sie als lange Fransen am Boden enden und teils dramatische Schatten werfen.
Die Arbeiten im ersten Saal haben monumentale Ausmaße.
„Muro en rojos“ von 1982 erinnert an eine Mauer aus unzähligen, hauchdünnen genknüpften und geflochtenen Quadraten, die Schindeln ähneln, in den Ocker-, Orange-, Braun- und Rottönen des Herbstes. Die Arbeit erstreckt sich über eine Höhe von über acht Metern.
Im zweiten Saal werden die „Nebel“-Skulpturen der Künstlerin gezeigt. Amaral baut sie aus von der Decke hängenden Rechtecken zusammen, in die farbige Fäden in unterschiedlicher Länge eingefügt sind. Sie formen dreidimensionale, scheinbar schwerelose, zart anmutende Vorhänge. Sternenbilder, ein ganzer Kosmos, der die Besucher einfängt. Selten schön!
Die Soloschau von Olga de Amaral ist bis zum 16. März in der Fondation Cartier in Paris, 261 Boulevard Raspail, zu sehen. Die Stiftung hat täglich von 11-20 Uhr geöffnet. Danach schließt die Fondation im Montparnasse und zieht in neue, wieder von Jean Nouvel gestaltete Räume am Louvre um. Dort wird Ende 2025 die nächste Ausstellung gezeigt.
Hier stelle ich ein weiteres Kleinod im Kunstkosmos der französischen Hauptstadt vor – das Haus von Sophie Taeuber-Arp: https://stylerebelles.com/zuhause-bei-sophie-taeuber-arp-in-paris/