Amsterdams neues Kreativviertel liegt in einer stillgelegten Werft, 15 Fährminuten entfernt vom Hauptbahnhof Amsterdam, am Nordufer des Flusses Ij. Über 250 Künstler arbeiten im rauen Charme dieses schroffen Industriedenkmals, ihre Ateliers befinden sich in Schiffscontainern, die sich in einer riesigen Halle zweistöckig übereinander stapeln. Lieferwagen fahren durch das Gewirr aus Gassen und Straßen. Es wirkt, als sei ein kleines Szene-Viertel von einer Fabrikhalle verschluckt worden.
Anfang der 90er Jahre ging die Werft in Konkurs, das Gelände lag brach. Doch dann trafen sich hier Künstler, Stelzenläufer und Skater und fassten einen Plan. Aus der ehemaligen Schiffsfabrik sollte die Kunststad werden. Mit selbst gebauten Ateliers zu niedrigen Mietpreisen (290 Euro für ein 100 m2 großes Atelier – ein Spottpreis im teuren Amsterdam), einer großen Freilichtbühne und einem Skaterpark, alles offen für Besucher. 10 Millionen Euro öffentliche Gelder flossen in die Sanierung der ehemaligen Werfthalle, an deren Backsteinfront bis heute der Name der alten Schiffsfabrik steht: Nederlandsche Dok en Scheepsbouw Maatschappij. Weiter 5 Millionen brachten die Künstler auf. Durch ein riesiges Eisentor betritt man das, was aus der ehemaligen Schiffshalle geworden ist. Schwere Eisenträger stützen die 20 Meter hohe Hallendecke, auf halber Höhe verlaufen rostige Kran-Schienen, an denen noch die Führerhäuschen hängen.
Einige der Maler, Musiker, Bildhauer, Innenarchitekten, Möbeldesigner und Modefotografen leben auch hier, in ausrangierten, bunt bemalten Straßenbahnen und auf rostigen Schiffen, auf denen Tomaten und Wein wachsen. Hundert Meter von ihnen entfernt, auf einem anderen Teil des Werftgelände, wurde eine andere Fabrikhalle auf Hochglanz saniert: der neue Benelux-Hauptsitz des Musiksenders MTV. In einem ehemaligen Bootshaus daneben hat Red Bull Quartier bezogen. Und nicht zu vergessen das neue Hilton Hotel, vor dessen Eingang Touristen sitzen, in ihre Smartphones blicken und auf überteuerten Bio-Sandwiches herumkauen.