Kein Buch hat mich in den letzten Jahren so fasziniert wie Edmund de Waals Bestseller „Der Hase mit den Bernsteinaugen“ (2010). Er erzählt darin vom Untergang seiner jüdischen Familie anhand japanischer Figürchen, Netsuke genannt. Sie stammen aus Japan, wo sie zwischen dem 17. und 19. Jahrhundert am Kimono getragen wurden. Aus Wurzelholz, Elfenbein oder Walrosszähnen geschnitzt sind sie das Einzige, das vom märchenhaften Reichtum der Bankiersfamilie Ephrussi übrig blieb. Heute stehen sie in einer Vitrine im Londoner Haus des Nachkommens Edmund de Waal.
Edmund de Waal (52) ist von Haus aus Keramiker. Er stellt filigrane Porzellangefäße her, die er in eigens dafür konstruierten Vitrinen zu Gruppen arrangiert. Er sagt von sich: „Für mich ist es nicht nebensächlich, wie Objekte angefasst, benutzt und weitergegeben werden. Das ist mein Thema. Ich habe Tausende, Abertausende Gefäße gemacht.“ Einige davon zeigt er gerade an einer sehenswerten Ausstellung an zwei Standorten der Galerie Max Hetzler in Berlin-Charlottenburg. De Waal lernte Berlin durch die Schriften Walter Benjamins kennen, insbesondere durch seine Sammlung autobiografischer Skizzen „Berliner Kindheit um neunzehnhundert“. In der Bleibtreustraße, mit Blick aus dem Wintergarten auf die ehemalige Schule Walter Benjamins, zeigt de Waal helle Gefäße in weißten Vitrinen, die auf Benjamins Kindheit und seine Leidenschaft für das Sammeln und Archivieren verweisen. Den zweiten Ausstellungsraum in der Goethestraße, eine ehemalige Schalterhalle der Post, sieht de Waal als Ort des Aufbruchs und Verlusts. Hier präsentiert er, schwarz in Schwarz, eine speziell für diesen Raum entwickelte gewaltige architektonische Arbeit aus Holz und Porzellan. Ergänzt wird die Installation durch eine temporäre Bibliothek aus Schriften von und über Walter Benjamin, die den Besuchern zur Verfügung steht.
Edmund de Waal: Irrkunst. Galerie Max Hetzler, Bleibtreustraße 45 und Goethestraße 2/3 in Berlin. Leider nur noch bis zum 16. Juli 2016.