Mittwoch, 18.30 Uhr im Hotel „Drei Zinnen“. In der Empfangshalle, im mit Wandgemälden verzierten Kartenspiel-Raum und in der kleinen „American Bar“ treffen sich die Gäste zum Apéritif. Ein deutsch-amerikanisches Galeristenpaar plaudert mit holländischen Wanderern. Ein Münchener Weinhändler berichtet der italienischen Großfamilie, dass er die Langlauftour nach Cortina heute in drei Stunden geschafft hat. Kinder spielen mit ihren iPads. „Senza una donna“ haucht der Gitarrist aus Triest traurig ins Mikrofon. Die Kellner reichen mit Kraut oder Spinat gefüllte Teigtaschen zum Sekt. Inmitten des Trubels als ruhender Pol die Chefin, Waltraud Watschinger. Wie stets ganz in Schwarz, sehr elegant und sehr charmant.
Die Patronne steht einem Traditionshotel vor. Erbaut wurde es im Jahr 1929. Zu einer Zeit, als der alpine Tourismus noch in den Kinderschuhen steckte, wurde es vom Wiener Architekten Clemens Holzmeister in Kooperation mit dem Südtiroler Maler Robert Stolz als luxuriöse Herberge gestaltet. Als Gesamtkunstwerk, für das das Interieur und die Wandmalereien extra angefertigt und auf die strenge und stolze Architektur des Gebäudes abgestimmt wurden. Als Hotel mit Schwimmbad, Aufzug und Bad in jedem Gastzimmer. Zu jener Zeit eine Liga für sich.
Im Erdgeschoss des Hauses gruppieren sich großzügige Gesellschaftsräume um eine zentrale Halle, deren Inneneinrichtung von den Lampen über die Sessel bis zur Wand- und Deckenvertäfelung von Clemens Holzmeister entworfen wurde. Breite Treppen und Flure führen zu den drei Etagen mit Gästezimmern. Sie weisen zurück in eine Zeit, in der Gäste, die es sich leisten konnten, in den Dolomiten Urlaub zu machen, auf Geräumigkeit und Komfort Wert legten. Fast alle Zimmer sind noch mit Originalmöbeln ausgestattet. Die Patronne lässt sie nach jeder Saison mit großem Aufwand von Spezialhandwerkern aufarbeiten.
Mehr als 80 Jahre befindet sich das noble Haus im Besitz der Familie Watschinger. Die Patronne und ihre Schwestern wurde quasi in den Betrieb hineingeboren. Waltruad Watschinger führt das Haus in der 3. Generation. Warum tut sie sich so viel Arbeit an? „Es ist Tradition und Verpflichtung, aber vor allem macht es mir großen Spaß. Man lernt viele Leute kennen, die ihre schönste Zeit hier bei uns verbringen. Da ist man bemüht, das Beste zu geben.“ Sicher keine leichte Aufgabe. „Wir haben enorme Instandhaltungskosten.“, räumt die Chefin ein, die in den vergangenen Jahren die gesamte Haustechnik, die Küche, viele Bäder, die Gesellschaftsräume und historische Zimmer überarbeiten bzw. erneuern und ein Spa ins Kellergeschoss einbauen ließ.
Die Atmosphäre im Haus ist behaglich, entspannt und kultiviert. Jeden Morgen liegen 8 Tageszeitungen aus 4 Ländern bereit. Im Leseraum findet man alle aktuellen Mode- und Architekturzeitschriften. Der Gast kann einen Schuhputz-Service in Anspruch nehmen. Es gibt immer frischen Blumenschmuck, aber darüber hinaus keinen Firlefanz. Das Haus wirkt für sich. „Entweder man mag das oder man mag es nicht.“, sagt die Chefin. Ein Vorbild für ihre stilistische Handschrift hat sie nicht, obwohl sie viel reist und viele schöne Hotels kennt. „Vielleicht war ich noch nicht im richtigen Hotel.“, räumt sie ein. „In der Schweiz gibt es ja viele historische Hotels, aber in der Wintersaison habe ich keine Zeit, dort zu sein. Und ich muss offen und ehrlich sagen: Im April, wenn ich wegfahre, habe ich die Nase so voll vom Schnee, dass ich nicht mehr in ein Skigebiet fahre.“
Was für Gäste zieht ein solches Hotel an? Neugierig sieht man sich beim Abendessen, das hier „Dinner“ heißt, im Speiseraum um. Sind Promis da? Hat man wieder den Tisch neben der bekannten Schauspielerin aus Wien? Und wenn schon, sie will hier genauso ihre Ruhe haben wie man selbst. Das Haus, das von außen so trutzig aussieht, kann nur 64 Gäste beherbergen. Oftmals hat man das Gefühl, die Sonnenterrasse oder den Pool ganz für sich allein zu haben. Ganz allein im Pool mit Blick auf die Dolomiten. „Millionärsschwimmen“ sagen wir dazu. Die Chefin würde natürlich niemals ein Wort darüber verlieren, ob und welcher Millionär sich gerade in ihrem Haus aufhält. Denn was ist die Hotelier-Regel Nummer 1? Diskretion. „Promis haben wir eigentlich gar nicht so viele. Ich würde sagen: Für uns ist jeder Gast ein Promi.“, ist alles, was sie sich augenzwinkernd entlocken lässt.
60 – 70 Prozent der Kundschaft sind Stammgäste. “Im Moment ist der Anteil etwas gesunken, wahrscheinlich wegen der Wirtschaftskrise, die Italien gerade durchmacht.“, erläutert Waltraut Watschinger. Dafür kommen jetzt mehr Deutsche. Junge Familien aus Berlin mit zweisprachigen Kindern und Nanny. Ein Team von der Art Basel Miami. Alles sehr chic, sehr hip. Die Patronne versorgt jeden Gast gern. Von morgens um 6 bis abends um 23 Uhr ist sie im Haus präsent. „Die Kommunikation mit den Gästen ist wichtig.“, erläutert sie. Konzentriert, hochprofessionell, dabei warmherzig und humorvoll empfängt sie Neuankömmlinge, dirigiert ihre Mitarbeiter und richtet freundliche Worte an jeden, der ihr über den Weg läuft.
Wohnt Frau Watschinger eigentlich in ihrem Hotel? „Leider nein.“, erzählt sie. Aber es gäbe viele Zimmer, in denen sie gerne wohnen würde. So geht es auch uns. Von Jahr zu Jahr überlegen wir: Soll es das historische Eckzimmer mit der kleinen Frisierkommode und den Fenstern zu drei Seiten sein? Die romantische Dachstube mit dem Südbalkon? Oder nehmen wir doch wieder Nummer 59, das große Erkerzimmer mit dem grandiosen Blick auf die Berge? Denn hier anzukommen bedeutet, nach Hause zu kommen.
Gestern sind übrigens 30 Zentimeter Neuschnee gefallen. Also: Nix wie hin!