Ich weiß nicht, wann ich zuletzt eine Ausstellung gesehen habe, die mir so viel Spaß gemacht hat. Und das, wo doch „nur“ Skulpturen gezeigt werden, die ich aufgrund ihrer Schwere und Starrheit oft als weniger zugänglich empfinde als Malerei. Doch hier habe ich mir jedes einzelne Exponat angesehen, und ganz besonders die Arbeiten eines Mannes, der bisher öffentlich nicht als Künstler, sondern als Modedesigner in Erscheinung getreten ist.
Gut 10 Jahre ist es her, dass Martin Margiela der Welt der Mode mit einem radikalen Schnitt den Rücken gekehrt hat. In den Jahren 1989 bis 2009 sorgte der belgische Designer weltweit für Aufsehen. Man kennt seine Kleider und Mäntel, doch wer er selbst ist, bleibt bis heute ein Rätsel. Es existieren keine Fotos von ihm, Interviews gibt er nur schriftlich. Er hat stets erklärt, dass die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit ausschließlich seiner Arbeit und nicht ihm gelten solle. Seine selbst gewählte Anonymität versteht er offensichtlich auch als seine Form von Schutz, die ihm ermöglicht, frei arbeiten zu können.
1988 gründete er das Maison Martin Margiela (MMM). Er verstand es als Design-Kollektiv, in dem jeder der 70 Mitarbeiter Teil eines Teams war und es keine Hierarchien gab. Mit seinen insgesamt 41 Kollektionen sprengte MMM die Grenzen der Mode. Margiela zeigte seine konzeptuellen Kreationen an Laien-Models auf Parkplätzen, in Metrostationen, bei der Heilsarmee oder auf dem Spielplatz in einer von Migranten bewohnten Vorstadt von Paris. 2009, am Abend nach der 20. Show seines Labels, verließ er sein Couturehaus. Seither hat er sich ganz der Malerei und Bildhauerei verschrieben.
Was weiß man eigentlich über Margiela?
Margiela wurde 1957 in einer Kleinstadt in Flandern/Belgien geboren. Schon mit 6 Jahren stand für ihn fest, dass er Modedesigner werden wollte. Sein Vater war Friseur, seine Mutter arbeitete mit im Salon. Der kleine Sohn verbrachte viel Zeit mit seiner Großmutter, einer Schneiderin. Stundenlang saß er neben ihr und nähte Kleider, Perücken und Schuhe für seine Barbiepuppen. Er absolvierte die Modeakademie Antwerpen und war Assistent bei Jean-Paul Gaultier. Neben seiner Arbeit für sein Modehaus verantwortete er von 1997 bis 2004 als Chefdesigner die Damenmode bei Hermès. Inzwischen hat er sein Unternehmen verkauft.
Als Bildhauer experimentiert Margiela mit Stoffen und Formen.
Seit mehr als einer Dekade beschäftigt sich Martin Margiela mit der Kunst. Erstmals werden nun einige seiner Arbeiten öffentlich gezeigt. Nicht in Paris, nicht in London, nicht in New York, sondern in der Kunsthalle Bielefeld. Dieses Kunststück gelang dem Bielefelder Museumsleiter Friedrich Meschede mit seiner großartigen Abschieds-Ausstellung. „L´homme qui marche. Verkörperung des Sperrigen.“
In Bielefeld werden vier Exponate gezeigt, die die engen Bezüge zwischen Margielas früherer Arbeit als Designer und seiner Kunst zeigen. Als Bildhauer experimentiert er mit Stoffen, Fellen und Formen. Zu sehen sind „Tondi“, in denen Margiela altmodische, weiße Männerunterhosen kunstvoll über runde, Formen drapiert, modelliert und in der Form eines Rotondos näht. Die runden, den Untergrund bildenden Formen sind ebenfalls weiß, wodurch sie die Illusion einer neutralen Leinwand schaffen. Die Stoffdrapierungen wirken auf subtile Weise erotisch, indem sie den Eindruck der Anwesenheit eines männlichen Genitals erwecken, das sie zu verschleiern oder zu enthüllen scheinen.
Einen heiteren, spielerischen und leicht ironischen Anklang vermittelt „Pet“. Darin macht er einen Baustellenbegrenzungskegel aus Plastik zu einem Kunstwerk, indem er ihn mit Pelz überzieht. Kunstpelz selbstverständlich. Kein Tier soll für Margiela sterben.
L´homme qui marche. Verkörperung des Sperrigen. Kunsthalle Bielefeld. Bis 8.3.2020.
Auf dem Titelfoto stehe ich vor einer Arbeit von Wiebke Siem.