Man muss Selbstbewusstsein nehmen, woher man es kriegen kann, warum nicht von einer Laterne. Meine Laterne ist eine Installation des Künstlers Murray Gaylard. Sie hüllt Passanten, die unter ihr entlang gehen, in einen Lichtkegel und wenige Sekunden später spricht sie. Sie macht ein Kompliment. Auf Instagram gibt es Filmchen dazu. Aber darum geht es jetzt gar nicht, sondern um den Satz, den die Laterne spricht und an den ich oft denken muss, weil er so wahnsinnig viel über uns aussagt. „Even in this most unflattering light“, lässt Gaylard die Laterne sagen, „you are beautiful.“ Selbst im unvorteilhaftesten Licht bist du schön.
Ist das nicht ganz wundervoll? Man wirft sich an einem dieser ungemütlichen Novemberabende noch schnell den Allwettermantel über, dreht missmutig ein paar Ründchen durch den Park und kommt an einer Laterne vorbei. Plötzlich springen Scheinwerfer an, man steht in einem Lichtkegel wie ein Superstar und bekommt gesagt, man sei schön. Sogleich fühlt man sich erkannt, ganz besonders wenn man eine Frau ist. Denn jede Frau hat in irgendeiner Form Minderwertigkeitskomplexe wegen ihres Aussehens, und sei sie auch noch so schön. Irgendwann ist irgendwas gründlich schief gegangen, schätzungsweise in der Kindheit. Absurderweise ist es häufig sogar so: Je blendender eine Frau aussieht, desto weniger schön fühlt sie sich.
Über einen Mann, der etwas von Frauen versteht
Murray Gaylard ist 1974 geboren. Er wuchs als homosexueller, weißer Junge in einer Kleinstadt in Südafrika auf, hat in Kapstadt Soziologie und Psychologie studiert und zog nach Frankfurt. An der Städelschule studierte er Kunst. Zur Zeit lebt er in Berlin. Sein Studio ist in der Kindle Brauerei in Neukölln. Seine sprechende Straßenlaterne hat er noch bis zum 1. April 2019 im Gräflichen Park in Bad Driburg installiert, wo sie sich in guter Gesellschaft mit Installationen von Michael Sailstorfer und Jeppe Hein befindet. Auf Anregung von Annabelle Gräfin Oeynhausen-Sierstorpff, der Initiatorin des Projekts, werden in der Orangerie des Hotels auch Papierarbeiten Gaylards gezeigt. Er hat alte Stiche aus dem Besitz der gräflichen Familie zu überraschenden, sehr schönen Kollagen umgearbeitet.
Die Laterne spricht nicht zu mir. Punkt.
Es hätte so schön sein können mit der Komplimente verteilenden Laterne und mir. Ich fuhr in den Gräflichen Park nach Bad Driburg. Ich stand unter der Laterne, ihr Licht ging an und sie sagte – nichts. Wie jetzt? Sie fand mich etwa nicht schön? Das konnte nicht sein. Ich gab also alles. Ich umschlich sie mehrmals, zärtlich wie eine Katze. Ich flirtete mit ihr, und während ich versuchte, sie zu becircen, horchte ich hochkonzentriert nach oben. Verdammt, sie sprach nicht. Schließlich packte mich die Wut, und ich rüttelte an ihr. Sie gab keinen Ton von sich. Da aß ich erst mal Abendbrot und versuchte es spät in der Nacht noch einmal. Das Licht der Laterne schien auf, ich wartete und dachte: Nun red halt mit mir! Doch sie sprach wieder kein Wort. Ich nahm es nicht zu ernst, nur ein wenig. Ich ging dann einfach in mein Hotelzimmer und legte mich ins Bett. Außer Spesen nichts gewesen.
Inzwischen, so habe ich es gehört, hat die Laterne ihre Sprache wieder gefunden. Fahren Sie also hin. Denn: Gutes Projekt, gutes Kunstwerk, guter Künstler.
VIDEO
Licht- und Soundinstallation „Street lamp for an inferiority complex“ von Murray Gaylard und Ausstellung der Papierarbeiten in der Orangerie des Gräflichen Parks Bad Driburg. Noch bis zum 1. April 2019.
Der Gräfliche Park und die Orangerie des Gräflicher Park Health & Balance Resort“ sind öffentlich und täglich durchgehend geöffnet.
Hier erfahren Sie mehr über Annabelle Gräfin Oeynhausen-Sierstorpff.