Kleidung verhüllt und enthüllt zugleich. Kleidung spricht. Die Frage, was unsere Kleidung über uns erzählt, beantwortet Dr. Jennifer Baumgartner. Die Psychologin und Autorin des Buches „You are what you wear“ beschäftigt sich mit den Beweggründen, die unserer Kleiderwahl zu Grunde liegen. Mir hat sie verraten, was unsere Kleidung über uns aussagt.
Interview und Übersetzung von Cerstin Henning
Mode – mehr als nur Oberfläche
1. Kleidung ist in den Augen vieler Menschen ein oberflächlicher und zu vernachlässigender Aspekt unserer Persönlichkeit. Hatten Sie das Gefühl, die Bedeutung dieses Themas rechtfertigen zu müssen?
Jennifer Baumgartner: Unglücklicherweise wird die Bedeutung unserer Kleidung oft missachtet, aber wir Psychologinnen und Psychologen untersuchen alle möglichen Verhaltensweisen in Bezug auf ihre psychologische Bedeutung. Wir analysieren wie Menschen schlafen, essen, lieben, arbeiten etc., also warum nicht Verhaltensweisen rund um unsere Kleidung. Wie wir sie kaufen, zusammen stellen, in unseren Kleiderschränken aufbewahren, dies alles sind Verhaltensweisen, die uns einen Einblick geben, wie Menschen ticken. Was in unseren Schränken vor sich geht, ist oft ein Abbild dessen, was in unserem Leben vor sich geht.
2. Shopping und Geld ausgeben für – mehr oder auch weniger – teure Klamotten ist ein Luxus, den sich nicht jeder leisten kann. Wie reagieren Sie auf den Vorwurf, dass Sie sich mit einem Luxusthema für verwöhnte Frauen und Männer beschäftigen, die keine anderen Probleme im Leben haben?
Jennifer Baumgartner: Wenn ich nicht gerade die Kleiderschränke anderer Leute durchgehe, bin ich klinische Psychologin, die sich auf Stimmungs-, Angst- und Substanzgebrauchsstörungen spezialisiert hat, und ich kann Ihnen versichern, dass jeder Probleme hat unabhängig von seinem oder ihrem finanziellen Hintergrund.
Wenn es um Kleidung geht, ist mein wichtigster Rat, klassische Kleidungsstücke in der besten Qualität zu kaufen, die man sich leisten kann. Ich würde lieber in ein qualitativ hochwertiges Kleidungsstück zu einem höheren Preis investieren, als das gleiche Kleidungsstück mehrfach zu kaufen, weil es von minderer Qualität ist. Langfristig sparen kluge Kaufentscheidungen so Geld.
Die Verbindung zwischen Äußerem und Innerem
3. Ihre Entdeckung der „Insideout“ Verbindung machten Sie, während Sie den Kleiderschrank Ihrer Großmutter durchstöberten. Haben Sie eine persönliche Geschichte, zum Beispiel von einem für Sie persönlich wichtigen Kleidungsstück, die Sie mit uns teilen möchten?
Jennifer Baumgartner: Ich trage am liebsten klassische Outfits mit einem „wow“ Element, meistens einem besonderen Gürtel. Ich denke, das spiegelt meine Persönlichkeit gut wider: traditionell mit einem Twist.
4. In Ihrem Buch argumentieren Sie, dass innere Veränderungen oder zumindest die Erkenntnis ihrer Notwendigkeit vor einer äußerlichen Veränderung kommt. Aber kann eine solche Veränderung auch mit dem Kauf oder Erwerb eines (neuen) Kleidungsstück initiiert werden? Kann ein Kleid einen Menschen verändern?
Jennifer Baumgartner: Es ist schon wichtig, die inneren Beweggründe zu kennen und zu verstehen, die unser Bekleidungsverhalten bestimmen, aber wie ich auch in meinem Buch schreibe: man kann innere Veränderungen durch äußere Veränderungen anstoßen.
Es gibt eine permanente Auseinandersetzung zwischen unserem Äußeren (was wir tragen), unserem Inneren und der Außenwelt (wie anderen auf uns reagieren). Wenn ich einen Aspekt davon verändere, hat das einen Einfluss auf die anderen. Ein Beispiel: Sie sind deprimiert und ziehen ihr Lieblingskleid an. Sie sehen sich im Spiegel und ihr tolles Aussehen gibt Ihnen neue Energie. Sie treffen Ihren Schwarm und haben genügend Selbstvertrauen, um Hallo zu sagen.
5. Coco Chanel sagte einmal, „Mode ist nichts, was nur in der Kleidung existiert. Mode ist in der Luft, auf der Straße. Mode hat etwas mit Ideen zu tun, mit der Art wie wir leben, mit dem, was passiert.“ Was sagen Sie dazu?
Jennifer Baumgartner: Absolut! Was wir tragen, ist nur die Spitze des Eisbergs. Wofür ich mich interessiere, ist das unter der Wasseroberfläche… welche Faktoren unsere Kleiderwahl beeinflussen.
Was unsere Kleidung über uns verrät
6. Sie sagen, wie wir uns präsentieren sagt anderen viel über uns, wesentlich mehr als das was wir sagen. Woran liegt das?
Jennifer Baumgartner: Bevor wir überhaupt den Mund aufmachen senden wir anderen Signale darüber, wer wir sind. Diese nonverbalen Hinweise, was wir tragen, warum wir es tragen und wie wir es tragen, sprechen Bände.
7. Als Coach für Frauen in Führungspositionen nutze ich manchmal biografische Methoden, um die wichtigsten Momente, Erfahrungen und Personen aufzudecken, die die berufliche Entwicklung eines Menschen geprägt haben, und um dadurch mehr über sein professionelles Selbstkonzept zu erfahren. Meinen Sie, die Analyse der modischen Entwicklung eines Menschen funktioniert ähnlich?
Absolut! Wenn ich mit einer Kundin arbeite, machen immer eine Bestandsaufnahme, die ich nach und nach erweitere. Während wir langsam ihre Garderobe freilegen, legen wir auch ihre Persönlichkeit frei.
Wie die richtige Kleidung glücklich machen kann
8. Die meisten Leserinnen und Leser unseres Blogs sind über 40 und unsere Botschaft ist, dass älter werden nicht gleichbedeutend mit unsichtbar werden sein muss. Im Gegenteil, wir glauben, dass es mit fortschreitendem Alter immer leichter wird, zur eigenen Persönlichkeit und dem eigenen Körper zu stehen und dieses Selbstbewusstsein hilft, sich entsprechend in Szene zu setzen. Was sagen Sie dazu?
Jennifer Baumgartner: Da spreche ich aus persönlicher Erfahrung: Ich fühle mich heute viel wohler in meiner Haut als je zuvor. Ich weiß, wer ich bin, was ich mag, was ich nicht mag, und muss mich dafür nicht entschuldigen. Diese Selbstsicherheit drückt sich im Kleidungsverhalten aus. Wir treffen bessere Outfitentscheidungen, wenn wir wissen, wer es ist, den wir einkleiden, selbst wenn dieser „wer“ wir selbst sind.
9. Wenn es um Schönheit, Mode und Gesundheit geht, sind „Abnehmen“ und „Alter“ die Themen, die viele Frauen am häufigsten beschäftigen, sagen Sie. Viele Frauen, sagen Sie weiter, glauben, älter werden bedeutet auch unattraktiv zu werden, und kaufen Dinge, um sich dagegen zu wappnen, was es oft nur noch schlimmer macht. Was können wir Frauen tun?
Aus der modischen Perspektive sollte man sich altersgemäß kleiden. Aus der psychologischen Perspektive sollte man Kleidung tragen, in der man sich wohl fühlt. Wenn die Kleiderwahl aus einer ungesunden Motivation heraus getroffen wird (zum Beispiel, wenn Sie sich nicht altergemäß kleiden, weil Sie glauben, ihr Alter sei nicht akzeptabel), dann ist das keine gute Entscheidung. Wenn sie aus einer guten Motivation heraus getroffen wird (wenn Sie einen Minirock tragen, weil Sie ihn lieben und sich darin gut fühlen), dann wird dieses Outfit sie auch glücklich machen.
10. Wenn Ihnen eine 50-jährige Frau sagt, sie fühlt sich wie 25 und fühlt sich am besten in engen Jeans und Rüschentops (und Ihr Eindruck bestätigt diese Wahrnehmung auch), sollte sie ihr tatsächliches oder ihr gefühltes Alter zur Entscheidungsgrundlage machen?
Wenn es eine gesunde Entscheidung ist (sie liebt ihr Aussehen) und nicht das Bedürfnis, das tatsächliche Alter zu verbergen, dann sollte sie das Outfit unbedingt tragen.
Über die Autorin
11. Hat das Schreiben Ihres Buchs Ihr Leben verändert? Ihren Stil? Wenn ja, wie?
Das Schreiben meines Buches hat sicherlich meine Welt vergrößert. Ich spreche mit Menschen auf der ganzen Welt über die Bedeutung ihrer Kleidung und das ist absolut inspirierend. Darüber hinaus ist es ein Buch, das ich schon seit vielen Jahren schreiben wollte, insofern ist das Erreichen dieses Ziels für mich unglaublich toll. Ich bin immer noch geschockt, wenn ich meinen Namen in Zeitschriften, Blogs, im Radio oder Fernsehen höre oder sehe.
Mein Stil verändert sich ständig, aber durch das Buch analysiere ich mein Kleidungsverhalten stärker. Ich bin mir viel stärker bewusst, nach welchen Kriterien ich meine Kleidung kaufe, zusammenstelle, organisiere und im Kleiderschrank verstaue!
12. Jennifer, haben Sie ein Kleidungsstück, ohne das Sie nicht mehr leben können, weil es Ihrem „wahren Ich“ entspricht oder weil es einen besonderen Platz in Ihrem Leben einnimmt?
Ein einziges auszuwählen ist unmöglich, aber ich habe zwei Arten von Kleidungsstücken, ohne die ich nicht mehr leben kann. Erstens die „Arbeitstiere“ in meiner Garderobe, die ich zu jeder Gelegenheit das ganze Jahr über tragen kann und die mit jedem anderen Kleidungsstück in meinem Schrank kombinierbar sind. Dazu gehört eine Jeans, ein weißes Hemd, ein Etuikleid, ein Trenchcoat und ein Cashmerepullover mit Rundhalsausschnitt. Und zweitens die Kleidungsstücke, die charakteristisch für mich sind: ein Concha Gürtel (ein Schmuckgürtel, meist aus Silber, Leder und Türkisen, mit Wurzeln in der Kultur amerikanischer Ureinwohner), eine Statement Kette und tolle Stilettos. In der Summe machen mich diese Einzelteile aus. Ich bin praktisch und klassisch, aber ich habe auch eine überraschende Seite!
Sie möchten mehr erfahren?
- Ihr Buch gibt es auf Englisch und auf Deutsch:
- Dr. Jennifer Baumgartner: Fashion – Was verrät mein Stil über mich? übersetzt von Susanne Lötscher
- Jennifer Baumgartner, Psy. D.: You Are What You Wear: What Your Clothes Reveal About You
- Sie interessieren sich für mein Outfit auf diesem Bild (leider ohne Jennifer Baumgartner, das Interview haben wir per Email geführt): Es ist meine BOjack by BOcouture Hamburg kombiniert mit einem Tüllrock und Stiefeln von Café Noir.
- Kleidung ist Ihnen nicht so wichtig, Sie interessieren sich mehr dafür, wie Menschen ihr Zuhause einrichten? Dann finden Sie bei „Zu Gast in einem ehemaligen Wasserwerk: eine Homestory.“ vielleicht die eine oder andere Inspiration!
Und wenn Sie, liebe Leserinnen und Leser, ein Kleidungsstück haben, ohne das Sie nicht mehr leben können, das Ihre ganz persönliche Geschichte erzählt, dann freuen wir uns über Ihren Kommentar…
Da trägt eine die Nase hoch und meint, was mir gefällt ist guter Stil, die erwähnten Basics, weiße Bluse, Jeans, Trench…. Eine gute Zusammenstellung???
Ja, wenn sie es nötig haben, Frau Dr. Baumgartens Faden Stil zu kopieren, dann ja…. Ist aber entbehrlich, ehrlich!