Mitten in Bielefeld gibt es Gegenden, in denen die geschäftige Stadt zur ländlichen Idylle mit parkartigen Grundstücken und schmalen, mit Kopfsteinen gepflasterten Straßen wird. Im Erdgeschoss eines schönen Altbaus liegt Maria Grefes Atelier. Ich besuche es an einem frühen Nachmittag im November. In der Werkstatt geht es geschäftig zu, zwei Lehrlinge und drei Praktikanten arbeiten hochkonzentriert. Maria Grefe führt mich in den Showroom. Noch mehr als Originalität strahlt er Eleganz und Entspanntheit aus. Die Wände sind nicht verputzt, unter der Decke hängt ein Kronleuchter, das Mobiliar ist reduziert. Eine ziemlich gute Bühne für Maria Grefes Kollektion, die durch Einfarbigkeit und gerade Schnitte besticht.
1. Warum sind Sie Schneiderin geworden?
Es war immer schon mein Berufswunsch, aber dann hat mein Lebenslauf eine andere Wendung genommen. Ich habe früh geheiratet, BWL studiert, einige Jahre im Betrieb meines Mannes mitgearbeitet, 4 Kinder bekommen und war eine Zeit lang Hausfrau. Mein Plan war immer, trotz Kindern berufstätig zu sein. Ich habe mich dann auf meinen eigentlichen Berufswunsch besonnen. Nach dem 4. Kind habe ich angefangen, mich weiter zu bilden, eine Maßschneider-Gesellenprüfung abgelegt, war als Gasthörerin an der FH Bielefeld, um mir die Schnitttechnik anzueignen und habe 2007/8 die Meisterprüfung an der Handwerkskammer in Dortmund abgelegt. Danach habe ich mich sofort selbstständig gemacht.
2. Wer waren Ihre ersten Kundinnen?
Natürlich friends&family. Hinzu kommt, dass ich in Bielefeld gut vernetzt bin.
3. Tragen Sie Ihre eigenen Modelle? Immer.
Nur wenn ich mich selbst darin wohl fühle, kann ich meine Mode auch verkaufen. Ich bin mein eigenes Korrektiv und mit meiner Mode sehr streng. Ich merke selbst am allerbesten, wenn noch etwas verbessert und entwickelt werden muss, damit es auch meinen Kundinnen gefällt.
4. Was kennzeichnet Ihre Handschrift als Designerin?
Ich möchte nicht das Rad neu erfinden, sondern zeitgemäße, moderne, klare Mode machen. Ich verwende keine lauten Muster, hinter denen die Persönlichkeit der Frau zurücktreten muss. Ich arbeite mit einer reduzierten Farbpalette, hauptsächlich Schwarz, Nachtblau und Rot. Ich experimentiere mit Material, darunter einem neuen Neoprenmaterial, das eine sehr schöne, strahlende Farbkraft hat.
5. Welche Rolle spielt die Kategorie Weiblichkeit in Ihrer Mode?
Keine so große. Ich fertige auch Modelle, die von beiden Geschlechtern getragen werden können. Ich sehe da auch eher eine Annäherung der Geschlechter. Meine Mode ist nicht so extrem feminin.
6. Für welchen Typ Frau entwerfen Sie?
Meine Mode ist altersunabhängig. Sie richtet sich an eine stilbewusste, moderne Frau.
7. Welche Rolle spielen ältere Frauen in ihrem Kundinnenkreis?
Sie sind eine große Zielgruppe für mich. Daher plane ich jetzt auch ein Shooting mit Frauen Anfang 60.
8. Was ist Ihnen wichtig, wenn Sie eine Ü60 Frau einkleiden?
Genau dasselbe wie bei Frauen anderer Altersgruppen, nur bei ihnen ist es noch viel wichtiger, dass sie möglichst wenig machen, damit Ihre reife Persönlichkeit wirken kann – das Asset einer älteren Frau! Ich achte darauf, dass der Schnitt gut ist, dass die Farbe zur Frau passt, aber dass sie nicht durch das Kleidungsstück überlagert und nicht von ihrem Alter abgelenkt wird.
9. Warum ist es wichtig, dass die ältere Frau undekoriert daher kommt?
Weil es eine innere Zufriedenheit ausstrahlt, wenn man sich schlicht kleidet. Weil die Frau viel ernster genommen werden kann, und man viel neugieriger auf sie und ihre Geschichte wird.
10. Auf was achten Sie bei Ihrer Männerkollektion?
Wenn ich für Männer entwerfe, dann nicht mehr klassisch, sondern in Richtung modern. Männer tragen seit 200 Jahren Anzug. Noch vor 20 Jahren trugen alle berufstätigen, erfolgreichen Männer den klassischen Anzug. Er hatte und hat einen großen Sexappeal. Steve Jobs hat die Wende eingeleitet. Erfolg ist nicht mehr nur mit dem Anzug konnotiert. Ich liebe den Anzug, weil er ein sehr durchdachtes Kleidungsstück ist. Er bringt die Statur des Mannes optimal zur Geltung. Aber ich würde die Männermode gerne weiterentwickeln, indem ich den Anzug aufbreche.
11. Was gewinnt ein Mann, der darauf verzichtet, den klassischen Anzug wie eine Rüstung zu tragen?
Er gewinnt an Individualität, und er weckt Neugier beim Gegenüber. Allerdings erzielt man den Effekt nur in einer Umgebung, in der sonst Anzug getragen wird. Ein Mann, der den Mut hat, aus dem Anzug auszusteigen, zeigt Unabhängigkeit. Wenn er ohne Anzug in einem „Anzugsjob“ tätig ist, ist das doppelt cool und selbstbestimmt. In den kreativen Berufen dagegen ist der Anzugsträger eher mutig. Ich liebe Künstler wie beispielsweise William Kentridge – man sieht ihn in seinen Videos nur im Anzug. Als Anzugträger gibt er der Kleidung nicht die Chance, seine Persönlichkeit zu dominieren. Der Anzug als neutrales Kleidungsstück ist perfekt.
12. Wer oder was hat Ihren Geschmack geprägt?
Das klassische Herrenschneiderhandwerk. Es ist, weil es sich auf den Anzug konzentriert, präziser und ausgereifter als das Damenschneiderhandwerk. Von der Ästhetik her finde ich es hervorragend! Auch die Eleganz der Sechziger Jahre, die ich mit der Zeit verbinde, als meine Mutter jung war. Die Mode dieser Zeit ist innovativ und progressiv, aber trotzdem hat sie die Eleganz nicht verloren.
13. Auf was achten Sie bei der Kleidung anderer Menschen?
Mir gefällt am besten, wenn etwas wie selbstverständlich und nicht wie ausgedacht aussieht und gut zu einer Person passt.
14. Gibt es ein Kleid, das Sie schützt?
Ja, ein klassisches Etuikleid. Es ist das Pendent zum Anzug der Männer. Gut geschnitten lässt es jede Frau erstrahlen. Selbst ein kräftiger Mann sieht im gut geschnittenen Anzug phantastisch aus. Genauso ist es mit einem gut geschnittenen Etuikleid bei der Frau.
15. Was ist für Sie persönlich die schönste Überraschung am Altern?
Dass man sich immer gefällt.
Maria Grefe
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