So wie es aussieht, werden wir auch in diesem Frühling wieder viel Zeit zum Lesen haben. Hier meine Empfehlungen für 4 Bücher zum Frühlingsbeginn.
1.
Erinnerungen: «Sempre Susan. Erinnerungen an Susan Sontag» von Sigrid Nunez
Sigrid Nunez war 25, als sie Susan Sontag kennenlernte und sich in deren Sohn David verliebte. Die beiden wurden ein Paar. Es war der Anfang einer komplizierten, oft nervenaufreibenden, geistig Funken sprühenden Dreiecksbeziehung. Über Sontag gibt es Bücher zuhauf. Nunez, die selbst eine preisgekrönte Autorin ist, gelingt mit diesen Erinnerungen jedoch etwas, das bisher noch fehlte: ein intimes Porträt, das die Ikone der internationalen Intelligenzija in all ihrer Widersprüchlichkeit und Empfindlichkeit zeigt und dabei jeglichen Voyeurismus vermeidet. Notizen über das Denken, Schreiben und Pizza-Essen – eine höchst inspirierende Kombination.
Aufbau-Verlag, Berlin 2020, 141 Seiten.
2.
Roman: «Niemand hat Angst vor Leuten, die lächeln» von Véronique Ovaldé
Gefahr ist im Anzug. Also packt Gloria ihre sieben Sachen und setzt sich mit ihren beiden Töchtern ins grossmütterliche Haus in den elsässischen Wäldern ab. Worin die Bedrohung besteht, ist nicht ganz klar. Doch scheint sie mit der Vergangenheit der Protagonistin zusammenzuhängen und mit diversen Männern, die dort eine Rolle spielten. Darunter ihr früh verstorbener Vater und ein Onkel, der keiner ist, ein Anwalt und der Schmalspurganove, der zum Papa ihrer Kinder wurde. Wie Kuchen zum Kaffee serviert Véronique Ovaldé Stück um Stück von Glorias Geschichte. Dabei plaudert sie so munter, dass man das Gift unter dem Zuckerguss nicht schmeckt – bis es wirkt. Ein Krimi? Auf jeden Fall ein kriminelles Vergnügen.
Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt 2020, 223 Seiten.
3.
Roman: «Über Menschen» von Juli Zeh
Nora flieht aufs Land: vor Berlin im Corona-Lockdown, vor ihrem selbstgerechten Freund und vor sich selbst. Denn während ihre Bekannten mit festen Ansichten über alles und jede herumspazieren, fühlt sie sich mit ihrer Abneigung gegen Meinungscliquen haltlos. Doch je besser sie die Unzufriedenen und Im-Stich-Gelassenen in der vermeintlichen Dorfidylle kennenlernt, desto tiefer gerät sie moralisch in die Bredouille. Menschen sind komplizierter als Ideologien, so ihr Fazit. Zum Glück ist Juli Zeh eine begnadete Zerpflückerin der Gegenwart. Sie paart Viren mit Virtualitäten und Richtigmacher mit Ressentiments. Ihr gelingt sogar ein schwules Floristenpaar, das lieber seine Blumen essen würde, als sich der Regenbogenfraktion anzuschliessen. Ein Roman wie Chili-Schokolade – süss mit scharfer Note.
Luchterhand-Verlag, München 2021, 416 Seiten.
4.
Biografie: «Nancy Cunard. Zwischen Black Pride und Avantgarde» von Unda Hörner
Nancy Cunard war eine Millionenerbin, die der britischen Upper Class den Stinkefinger zeigte, im Frankreich der 1920er- und 1930er-Jahre zur Verlegerin von Avantgarde-Autoren wurde und mit ihrem afroamerikanischen Freund durch die Straßen New Yorks zog, als Beziehungen zwischen Schwarzen und Weißen mancherorts noch als Verbrechen galten. Sie machte ihre Launen zur Leidenschaft – im Kampf gegen Rassismus ebenso wie als Liebhaberin von Männern, die sie sammelte wie die Elfenbeinreifen, mit denen sie sich zu schmücken pflegte. Eine knappe Biografie über eine außergewöhnliche Frau, die außergewöhnliche Umstände suchte, um darin aufzublühen.
Verlag Ebersbach & Simon, Berlin 2021, 145 Seiten.
Und hier haben wir noch eine Leseempfehlung für Sie.