1. Anni Albers wurde 1899 in Berlin-Charlottenburg als Kind einer großbürgerlichen Familie geboren und protestantisch getauft. Ihre Mutter stammte aus der deutsch-jüdischen Verlegerfamilie Ullstein, ihr Vater war Möbelfabrikant. Als Kind lebte sie in einer Wohnung, in der ein ganzer Raum nur für ihre Bilder zur Verfügung stand. Sie hatte einen eigenen Kunstlehrer und wollte Malerin werden.
2. In Sten Nadolnys „Ullsteinroman“ heißt es: „Anni … war in der Fleischmann-Familie die schwierigste. Sie war auch die Schönste, eine Femme fatale ersten Ranges… Bohémienne wollte sie sein, Revolutionärin, Künstlerin.“ Im Alter von siebzehn Jahren trat sie in eine private Kunstschule ein und absolvierte dort eine dreijährige akademische Ausbildung. Nachdem sie als Frau keine Zulassung an der Dresdner Akademie für Malerei erhielt, ging sie 1922 ans Bauhaus.
3. In Weimar tauschte sie den verführerischen Luxus ihrer Jugend gegen ein karges gemietetes Zimmer mit auf einmal pro Woche begrenztem Badezimmerzugang ein.
4. Am innovativen Bauhaus musste sie erkennen, dass Männer und Frauen dort nicht gleichberechtigt waren. Studentinnen wurden in Extra-Frauenklassen unterrichtet, deren Schwerpunkte beim Weben, Töpfern und Buchbinden lagen. Die männlichen Studenten sangen: „Wo Wolle ist, da ist ein Weib. Das webt – und sei´s zum Zeitvertreib.“ Schweren Herzens verabschiedete sich Albers von ihren Malerei-Ambitionen und begann in der Weberei.
5. Am Bauhaus traf sie Josef Albers, den Sohn eines Malers und Dekorateurs. Das Paar heiratete 1925 (es wird gesagt, dass sie seine Pony-Frisur mochte) – und sie verbrachten nur selten Zeit getrennt voneinander. Oft sahen sie mehr aus wie Geschwister als wie Mann und Frau, so kleideten sie sich jahrelang in passenden Tweed -Mänteln von Abercrombie & Fitch mit Raglanärmeln. Noch viele Jahre, nachdem Josef Albers 1976 verstorben war (18 Jahre vor ihrem eigenen Tod), sagte Albers, dass sie es immer noch vermisste, ihm neue Hemden und Socken zu kaufen.
6. Am Bauhaus wurde Albers in Windeseile Meisterin am Doppel-Webstuhl und der Jacquard-Webmaschine und begann, großformatige Wandbehänge und Polsterungen in faszinierenden abstrakten Designs zu entwerfen. Sie hatte schnell Erfolg und wurde Direktorin der Weberei am Bauhaus. Als 1933 die Nazis die Macht ergriffen, reisten die Albers in die USA aus, wo sie eingeladen waren, am neu gegründeten Black Mountain College in North Carolina zu unterrichten. An diesem experimentellen Ort erhielt Albers eine Assistenz-Professur für Kunst. Bis zu ihrem Tod im Jahr 1994 beschäftigte sich Anni Albers mit Textildesign und Drucktechniken. Sie war die erste Textilkünstlerin, der das New Yorker Museum of Modern Art (1949) eine Einzelausstellung widmete.
7. Wenn man sie nach dem größten Künstler/der größten Künstlerin des 20. Jahrhunderts fragte, antwortete Albers: Coco Chanel. Nicht dass ihr eigener Kleidungsgeschmack besonders erlesen gewesen wäre. Sie zog sich einfach an, in einem Farbspektrum zwischen Weiß und Beige, und trug Anzüge des heute nicht mehr existierenden amerikanischen Discount-Kaufhauses Alexander’s. Die meisten Fotos zeigen sie in weiten Hosen mit einfachen Hemden oder Blusen mit Halsschleifen, gelegentlich mit Accessoires wie einer Perlenkette, einer Baskenmütze oder einem Kopftuch. Wenn man sie fragte, welche Persönlichkeit sie am liebsten sein würde, sagte sie Mae West.
8. Anni Albers brachte frischen Wind in die uralte Kunst der Weberei. Sie fand zum Beispiel nichts dabei, Zellophan in ihren Wandbehängen zu verwenden. Ein erstaunlich glitzerndes Beispiel aus dem Jahr 1928 kombiniert Zellophan mit Jute und gedrehtem Papier in einer Korb-Webarbeit.
9. Albers fertigte auch innovativen Schmuck an. Sie verwendete keine Edelsteine, sondern produzierte Objekte aus Haushaltsgegenständen, die andere als Müll bezeichnen würden. Von den Halsketten beispielsweise, die sie in den 40er-Jahren anfertigte, besteht eine vollständig aus Dichtungsringen, durch die ein orangefarbenes Band gezogen wurde, eine aus einem Abflusssieb und Büroklammern und eine weitere aus Flaschenkorken.
10. Anni Albers war begeistert von Mexiko. 1935 unternahm sie die erste von 14 Reisen nach Mexiko. Der Einfluss der Stoffe der indigenen Bevölkerung, die sie auf ihren Reisen gesehen hatte, zeigte sich bald in ihrer Arbeit. Sie begann, kleinere Web-Arbeiten sowohl mit komplexeren Mustern als auch mit helleren und satteren Farbtönen zu versehen. Ihr Stil beeinflusst noch heute Designer wie Paul Smith. „Anni hatte einen wunderbaren Blick für Farbe“, sagt der britische Modeschöpfer. „Sie hat einige faszinierende Orte besucht, und das hat ihr Spektrum erheblich beeinflusst und erweitert. Das inspiriert mich an ihrer Arbeit am meisten.“ Der Designer widmete im Herbst/Winter 2015 seine gesamte Laufsteg-Kollektion dem Werk der Weberin und ihrem Mann Josef.