Strahlender Sonnenschein in Murnau am Staffelsee, als ich über den Gartenkiesweg auf das Gelbe Haus zugehe, in dem die Malerin Gabriele Münter mit Wassliy Kandinsky gelebt hat. Wie jedes Haus erzählt es eine Geschichte, wobei es in diesem Fall genau genommen gleich mehrere sind. Zum Beispiel die einer asymmetrischen Beziehung. Im Juni 1909 waren der später weltberühmte Maler und seine zehn Jahre jüngere Schülerin hier eingezogen. Der 36-jährige Kandinsky war bereits verheiratet und hatte eine Geliebte in Moskau, als er die 25-jährige Münter 1902 in seiner Münchner Kunstschule kennen lernte. Münter wurde seine Geliebte, kaufte das Gelbe Haus und zog mit ihrem Lehrer aufs Land, um ihr Leben fundamental zu ändern und ein neues, freies Leben auszuprobieren. Kandinsky versprach ihr die Ehe und verlobte sich sogar mit ihr, obwohl er noch verheiratet war. Der Ausbruch des 1. Weltkriegs besiegelte das Ende der ohnehin brüchig gewordenen Beziehung des Paares. Kandinsky galt als Angehöriger eines „Feindesmacht“ und musste Deutschland verlassen. Münter blieb zurück. 1921 erfuhr sie, dass Kandinsky in Moskau erneut geheiratet hatte. Er besuchte Murnau nie wieder. Das kleine Haus und das Leben, das darin geführt wurde, waren ihm zu eng geworden. Gabriele Münter aber kehrte zurück und wohnte von 1931 an bis zu ihrem Tod 1962 im Gelben Haus.
Das schlichte Haus mit dem Walmdach kann der Besucher wie eine Anleitung zur Bescheidenheit lesen. Es ist nicht viel Platz vorhanden, die Räume sind klein, die Decken niedrig. Da es ursprünglich nur für Sommeraufenthalte vorgesehen war, besaß es selbst nach damaligem Stand kaum Komfort. Das Wasser musste mit der Pumpe geholt werden, für die Beleuchtung sorgten Petroleumlampen und Kerzen. Das Haus spricht von einer Lebensidee, die unaufdringlich, ja genügsam daherkommt. Der Gast lernt: Große Ideen treten leise und bescheiden auf.
Das Haus erzählt auch vom Gestaltungswillen eines Künstlerduos. Es ist ein Künstlerhaus, in dem Kandinsky und Gabriele Münter nicht nur wohnten, sondern es so gestalteten, wie sie dachten und lebten. So wurde es zum Gesamtkunstwerk. Sie bemalten das gesamte Haus, von außen, von innen, die Betten, die Kommoden, den Toilettenschrank. Beim Eintritt wird man von einem Reiterfries mit bunten Pferden, Tupfen, Kreisen und Blumen empfangen, die Kandinsky auf das Treppengeländer gemalt hat. So ist der Besucher im ganzen Haus umgeben von Malerei, durch die er quasi hindurchgeht wie durch ein Bild.
Meine Lieblingsgeschichte ist die eines Flucht- und Traumortes in der wunderschönen Voralpenlandschaft, in der ein Paar sich kurz vor dem 1. Weltkrieg ein schlichtes Häuschen kauft, einen Blumen- und Gemüsegarten anlegt, malt und schreibt, Freunde empfängt und versucht, das Chaos in der Welt zu vergessen. Ein zugegebenermaßen romantischer Lebensentwurf, der leider komplett scheiterte. Doch wer träumt nicht von einer solchen Idylle, zumal in diesen Zeiten?