Wenn man das Café Hawelka (Betonung auf der ersten Silbe) heute aufsucht – in einer Seitengasse der Fußgängerzone, schräg gegenüber dem ebenso berühmten Feinkostbuffet Trzesniewski -, wird man von einem Interieur empfangen, in dem sich seit der Blütezeit des Cafés in den 1950er bis 1970er Jahren, als es DER Treffpunkt von Schriftstellern, Musikern und Malern war, äußerlich nichts verändert hat.
Das Lokal war immer der Gegenentwurf zu den opulenten Ringstraßen-Cafés ein paar hundert Meter weiter. Mit dem Öffnen der Tür betritt man einen dunklen Raum voller Marmortische und mit vergilbten, gelb-rot gestreiften Polstern bezogenen Diwans, die an alte osmanische Kaffeehäuser erinnern.
An einem Sonntagvormittag sitzen nur ein paar Touristen im Café Hawelka.
Der sicherste Hinweis, dass dieser Ort heute kein Künstler- oder Literatencafé mehr ist, findet sich auf der Speisekarte. Im Angebot sind ein „Künstler-Frühstück“ (Buttersemmeln mit Schnittlauch, 2 Eier im Glas) und ein „Literaten-Frühstück“ (2 Semmeln, 1 Kipferl, Marillenmarmelade, Butter, Schinken, Käse, 1 weiches Ei). Ein sicherer Hinweis darauf, dass Künstler oder Literaten hier ganz gewiss nicht mehr frühstücken.
Man darf davon ausgehen, dass es dem legendären Besitzerehepaar Josefine und Leopold Hawelka in den 60 (!) Jahren ihrer Amtszeit nicht in den Sinn gekommen wäre, ein solchermaßen bezeichnetes Frühstück anzubieten. Josefine Hawelka starb 2005 mit 91 Jahren, Leopold 2011 mit über 100. Beide haben bis zum letzten Tag ihres Lebens im Café Hawelka gearbeitet, Leopold von 7 Uhr morgens bis nachmittags, Josefine von 15 Uhr bis in der nacht um halb 3. Ein Paar, das sich ein Leben lang nur zwischen den Schichten kurz begegnet ist. Ein interessantes Ehekonzept, vielleicht.
Ab 22 Uhr gab es immer Josefine Hawelkas legendäre Buchteln, nach denen dann das ganze Lokal duftete. André Heller, der schon mit 13 Jahren das erse Mal allein ins Café Hawlka ging, war so angetan, dass der Ort für ihn zum „Buchtelolymp“ wurde. Die Atmosphäre in dem meist überfüllten Café muss damals einzigartig gegwesen sein, auch bedingt durch die Originalität und Mischung der Gäste, für die Geld und Berühmtheit nicht, wie in anderen Wiener Cafés, als Eintrittsvoraussetzung galt.
In dem dunklen Raum des Café Hawelka versammelte sich Abend für Abend eine Gesellschaft der Eloquenten und Kreativen.
Choreografiert wurde ihre Platzierung vom Oberkellner höchstselbst nach deren Status in der Wiener Literaturszene. Ins Auge fällt auch heute noch der ovale Marmortisch mit dem kleinen Sofa hinten neben der Theke. Er steht schon fast mit zwei Beinen in der Küche und wirkt wie ein Tisch fürs Personal. Er heißt der „Milan-Tisch“, benannt nach einem bekannten Wiener Schawarzmarkthändler der Nachkriegszeit. Er war der begehrte Mittelpunkt des Lokals.
André Heller schrieb: „Ich habe für den ganzen, unvorstellbar mühseligen Weg vom Anfängertisch vor der Telefonzellentür links neben dem Eingang zum fünf Meter Luftlinie entfernten Milan-Tisch etwa sechs Jahre gebraucht. Die meisten verlassen auf dieser Mammutreise die Kraft und der Mut. Meine Sekundantin auf der Durststrecke war Josefina Hawelka persönlich. Sie sagte: `Der Herr Canetti ist auch nicht immer der Herr Canetti gewesen. Geduld, aus Ihnen wird noch was, das spür ich.`“

Das Wienerischste aller Kaffeehäuser befindet sich weit weg von Wien, an der Upper East Side in Manhattan. Bitte besuchen Sie mit uns das Café Sabarsky