Interviews mit den Besten. Heute sprechen wir mit Kristina Schütze, unserer ehemaligen Gastbloggerin. Der großartige Artikel über ihre Doc Martens ist ein Klassiker im Blog. Kristina Schütze ist seit zwei Jahren Head of Corporate Communications beim Modekonzern Gerry Weber. Es war ein Vergnügen, sie – online – wieder zu treffen und mit ihr zu plaudern. Natürlich geht es um ihren neuen Job, den Lockdown – und Mode.
1. Welche Frage wird Dir seit Deinem Wechsel zu Gerry Weber am häufigsten gestellt?
Kristina: „Ach, die gibt’s noch? Ich dachte, die sind schon längst pleite.“ Wobei ich das inzwischen seltener höre, weil wir in den Medien wieder abseits vom Insolvenzthema wahrgenommen werden. Das tut uns natürlich gut. Die zweithäufigste Frage ist: „Machen die nicht eher so altbackene Sachen?“ Wenn ich dann auf Styles verweise und sage, ein Großteil dessen, was ich täglich trage, ist von Gerry Weber, herrscht oft großes Erstaunen. Ich kombiniere dazu übrigens immer noch meine Doc Martens!
2. Wie fühlst du dich, wenn du das hörst?
Kristina: Es belastet mich überhaupt nicht. Anfangs wurde ich oft auf die Insolvenz angesprochen und gefragt, wieso ich gerade zu dieser Firma ginge. Fakt ist: Gerry Weber ist ein supertoller Arbeitgeber. Wir schaffen da im Moment ganz viel. Ich bin jemand, der sagt: Jetzt erst recht und ich arbeite besonders gerne dort, wo sich viel tut, Krisen und Veränderungsprozesse kommunikativ zu begleiten sind. So sind wir alle in der Firma eingestellt. Alle Mitarbeiter sind sehr motiviert. Der Niedergang hat sicher sehr weh getan, aber jetzt sind wir richtig gut aufgestellt. Das wird in der Öffentlichkeit auch so wahrgenommen. Mit Angelika Schindler-Obenhaus als unserer COO haben wir jetzt das Gesicht, das wir unbedingt brauchten, mit den Kontakten, die wir unbedingt brauchten. Das motiviert uns alle.
3. Viele hat die Pandemie überrascht. Dich auch?
Kristina: Ja, total. Ich habe mich in diesem Land immer sicher gefühlt und gedacht, so etwas könne uns nicht passieren. Im Februar 2020 habe ich mit dem Geschäftsführer einer Hamburger Agentur telefoniert, mit der wir zusammenarbeiten. Er sagte, in Hamburg seien schon alle Masken ausverkauft. Ich fragte: Welche Masken? Er meinte die OP Masken. Da habe ich gedacht: Das ist ja übertrieben, wir sind ja hier nicht in China. Drei Wochen vorm Lockdown hatte er in seiner Agentur schon die Arbeit per Home Office organisiert und geprobt. Auch das fand ich übertrieben. Heute kann man sagen, dass alle, die schon früh auf Covid reagiert haben, in jedem Fall recht hatten.
4. Ein verlängerter Lockdown, geschlossene Geschäfte, Reisebeschränkungen, Homeoffice und der Ausfall von Events: COVID hat die ohnehin schwierige Situation der deutschen Modeindustrie noch einmal verschärft. Welche Auswirkungen hat das auf das Label Gerry Weber?
Kristina: Wir machen den weitaus größten Teil unseres Umsatzes stationär. In Deutschland haben wir 200 eigene Stores inklusive Outlets und weltweit 506 gemanagte Flächen. Dazu kommen weltweit Franchise-Unternehmen und natürlich der Fachhandel. Daher trifft uns die Situation hammerhart. Wir können den Verlust durch online Handel nicht ansatzweise auffangen. Eine weitere Folge ist, dass unsere Designer, die sonst viel gereist sind, um sich inspirieren zu lassen und Messen besucht haben, um Stoffe zu sichten, jetzt alles digital machen müssen. In unserem Headquarter in Halle haben wir auf Home Office umgestellt, sehr schnell und auf einem technisch guten Niveau. Eine weitere Auswirkung ist, dass Events, Messen, Kongresse und verschiedene Talks jetzt digital ablaufen. Wir haben an der Fashion Week Berlin und den Fashion Days in Düsseldorf digital teilgenommen.
5. Welche Folgen für Deinen Terminkalender hat diese neue Struktur?
Kristina: Ich sitze zwei Tage in der Woche im Büro, sonst arbeite ich im Home Office. Tendenziell habe ich eher mehr als weniger zu tun. Gerry Weber gilt, was sehr positiv ist, als einer der führenden Vertreter der deutschen Modebranche. Daher erreichen uns momentan viele Presseanfragen zu Themen rund um die Auswirkungen der Pandemie auf die Modebranche. Pressekonferenzen, Meetings, Messen und Kongresse laufen jetzt digital ab. Intern haben wir Tools, über die Mitarbeiter ihre Fragen platzieren können – bei Bedarf übrigens auch anonym – denn Sorgen und Fragen nehmen in solchen Zeiten natürlich zu, und das möchten wir auffangen.
6. Mit welchen neuen Ideen versucht Gerry Weber im Lockdown Kundinnen zu erreichen?
Kristina: Wir haben verschiedene digitale Strategien entwickelt, mit denen wir unsere Kundinnen abholen. Es gibt das Personal Shopping, bei dem man einen Termin mit einer Storemitarbeiterin verabreden kann. Sie nimmt die Kundin per Tablet mit in den Store, präsentiert ihr Teile und berät sie. Die Kundin kann, wenn sie möchte, der Storemitarbeiterin auf ihrem Handy Teile zeigen, zu denen sie etwas kombinieren möchte. Die Storemitarbeiterin packt der Kundin ein Paket und schickt es ihr nach Hause. Dieses Format haben wir seit Ende Dezember in NRW, Brandenburg und Berlin ausgerollt und seit Mitte Januar in ganz Deutschland. Wir haben Verkaufsvideos mit Carola Nahnsen gedreht. Sie bespricht ausgewählte Teile, die Kundinnen können das im Online Shop sehen. Angelika Schindler-Obenhaus macht live Talks auf Instagram mit verschiedenen Persönlichkeiten, die nicht immer was mit Mode zu tun haben. Es geht um Themen wie Gesundheit, Ernährung und Sport, für die sich unsere Zielgruppe interessiert. Wir wollen Inspirationsquelle sein.
Unser neuer Claim, zu dem wir im Herbst die entsprechende Kampagne starten, lautet: WE ARE GERRY. Es geht um mehr als einen Pullover und eine Hose, sondern um das Lebensgefühl der Frauen 50 plus. Frauen, die größtenteils Kinder haben, die oft schon aus dem Haus sind. Frauen, die beruflich etwas erreicht haben, mitten im Leben stehen und genau wissen, was sie wollen und was nicht. Für sehr gute Kundinnen haben wir besondere Formate entwickelt. Zu Weihnachten haben wir mit 100 Frauen einen Christmas Tea veranstaltet. Alle Teilnehmerinnen bekamen eine Box mit Tee, Gebäck und Duftkerzen zugeschickt. Sie haben sich zur verabredeten Zeit via Teams zugeschaltet. Angelika Schindler-Obenhaus hat die Gäste begrüßt, unsere Designerinnen haben Teile der Kollektion vorgestellt. Diese Formate laufen sehr erfolgreich, aber es ist natürlich leider nicht so, dass sie einen entscheidenden Teil des wegfallenden Umsatzes auffangen.
7. Viele von uns kaufen im Lockdown online. Wie muss sich der stationäre Handel ändern, damit er in der Zukunft noch Kundinnen erreicht?
Kristina: Bei Gerry Weber denken wir daran, dass es über das bloße Verkaufen von Kleidung hinausgehen muss. Ein Store muss natürlich die Marke GERRY WEBER als komplette Welt erlebbar machen. Darüber hinaus könnte ein Store wie ein Marktplatz sein, auf dem auch Kleidung anderer Labels verkauft wird, dazu vielleicht Unterwäsche und Kosmetik. Stores müssen ein Ort für besondere Einkaufserlebnisse sein, mit Talks, Modenschauen und einem Wohlfühlambiente, in dem sich Frauen treffen und ein Glas Sekt zusammen trinken und auch ihre Männer sich gerne aufhalten. Dazu kommt natürlich eine professionelle Beratung. Bei Gerry Weber haben wir unsere Mitarbeiterinnen schon vor Corona speziell geschult.
8. Welche Teile der HW 2021/22 Kollektion sind Deine persönlichen Musthaves? Welche Message hat die Kollektion?
Kristina: Ich habe 4 Lieblingsteile. Die Kombination aus Hose, Oberteil und Bluse in Schwarz-Weiß ist ein Keypiece der Kollektion, das ich gerne tragen würde. Das braune Kleid aus veganem Leder hat eine sehr schöne Qualität; es ist ganz dünn, weich und fließend. Der braune Hosenanzug, den ich auf dem Foto trage, ist für mich ein totales Musthave. Auch der gestreifte Strickpulli aus Kaschmir, den ich mit einer Strickhose cool finde. Den ganzen Look finde ich super. Er ist megabequem für zu Hause, aber ich würde damit auch raus gehen.
Thema der Kollektion ist der Übergang zwischen Home Office und Arbeit im Büro. Cozyness wird als Thema auch nach der Pandemie bleiben. Wir brauchen jetzt Teile, die wir zu Hause und im Büro tragen können und auch, wenn wir abends nach dem Büro ins Restaurant gehen, wenn das wieder möglich ist. Ein anderes Thema ist Hochwertigkeit. Die Kundinnen wollen Kleidung kaufen, die nachhaltig ist und die sie auch noch in der übernächsten Saison anziehen können.
9. Wie kann Mode uns dabei helfen, durch die schwierige Zeit zu kommen?
Kristina: Ich bin im Home Office so angezogen, dass ich jederzeit die Kamera einschalten kann. Es ist wichtig, sich zu überlegen, was man anzieht, um die Moral hochzuhalten und auch weil man mit schöner Kleidung Wertschätzung für sich ausdrückt. Ein Kaschmirpullover und eine Strickhose sehen schön aus und streicheln die Seele. Farbe ist ein ganz großer Faktor. Sie beeinflusst die Stimmung. Ich gucke gerade auf unsere Terrasse. Draußen ist es grau, es regnet. Da muss man doch Farbe anziehen. Sie ist spielt bei Gerry Weber eine ganz große Rolle.
10. Eine letzte, aber wichtige Frage, liebe Kristina. Wann kommst Du endlich wieder in unseren Blog zurück?
Kristina: Sehr gerne, jederzeit. Zu welchen Themen wünscht ihr euch Beiträge?
Und hier gehts zur Frühjahrsmode von Gerry Weber:
Fotos von Kristina Schütze by Julian Belz/GERRY WEBER
Sie möchten noch mehr von Kristina lesen? Hier gehts zu ihrem Artikel über Urlaub mit Kindern auf Mallorca.
Wir haben bei uns im Blog schon viele interessante Frauen vorgestellt. Schauen Sie doch mal in der Interview mit Annabelle Gräfin Oeynhausen-Sierstorpff hinein.