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Unangepasst. Helen Hessel

Unangepasst: Helen HesselHelen Hessel bezauberte Männer und Frauen gleichermaßen. Die 1886 in Berlin geborene Tochter eines Bankiers war eine Draufgängerin, die leidenschaftlich liebte und hasste, arbeitete oder faulenzte. Sie war nicht nur attraktiv, sondern brillant, rauchte Zigarren, konnte boxen und ausgezeichnet schwimmen. Am liebsten im Meer, je kälter, desto lieber. Während ihres Kunststudiums lebte sie gegen alle Konventionen mit ihrem Professor zusammen. Sie ging nach Paris und traf den Schriftsteller Franz Hessel. Ein Jahr lang warb er um sie, bis sie in die Ehe einwilligte. Die Aussichten des Paares schienen rosig. Sie würden aufgrund des Reichtums seiner Familie ein sorgloses Leben führen und sie würde ihn um den Finger wickeln und ein Gesetz aufstellen. Es lautete: „In einer Ehe muss wenigstens einer treu sein. In unserem Falle er.“

Kaum war die Zukunftsvision formuliert, schon brach das Kartenhaus zusammen. Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs veränderte sich Helen Hessels Leben dramatisch. Sie und ihr Mann galten in Frankreich als unerwünschte Ausländer, sie mussten Paris verlassen. Das junge Ehepaar übersiedelte nach Berlin, Franz Hessel wurde eingezogen und kehrte nach vier Jahren traumatisiert aus dem Krieg zurück. Helen hatte inzwischen zwei Söhne zur Welt gebracht, ihr Erstgeborener litt in Folge eines schweren Geburtsschadens lebenslang an einer Behinderung. In Folge der Inflation schmolz Hessels Vermögen dahin, sodass die Familie in ein kleines Dorf südlich von München übersiedelte. Dort bekamen sie Besuch von Franz Hessels bestem Freund, einem Pariser Kunsthändler. Helen Hessel begann eine Affäre mit ihm. Was diese Liebe so ungewöhnlich machte, war, dass sie innerhalb des Trios offen ausgelebt wurde und über Jahre andauerte.

1924 erhielt Helen Hessel ein verlockendes Angebot: Die damals renommierteste deutsche Tageszeitung, die Frankfurter Zeitung, bot ihr an, als Modekorrespondentin aus der Modemetropole Paris zu berichten. Ohne zu zögern, zog sie mit ihren zwei kleinen Kindern nach Paris und wurde Deutschlands erste Modejournalistin. Ihr Mann pendelte zwischen seinem Arbeitsort Berlin und Paris. Doch mit der Machtergreifung Hitlers durfte Helen Hessel als Ehefrau eines Juden nicht mehr in Deutschland publizieren. Sie verhalf ihrem Mann zur Flucht aus Deutschland und ging mit ihrer Familie nach Südfrankreich. Hessel und sein ältester Sohn wurden auf Grund ihrer deutschen Staatsbürgerschaft interniert; Helen Hessel lebte im Untergrund und unterstützte die Résistance.

Unangepasst bis ins hohe Alter

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs kehrte sie nach Paris zurück, doch nichts war wie vorher. Sie hatte alles verloren, ihr Mann und viele Freunde waren gestorben. Mit 60 Jahren wagte sie einen Neubeginn in den USA, sie zog von New York nach Los Angeles, verdingte sich als Putzfrau und Chauffeurin und kehrte desillusioniert nach Europa zurück. Ihre letzten 30 Lebensjahre verbrachte sie in Paris. Sie lebte bei einer Freundin und arbeitete bis ins hohe Alter als Übersetzerin und Autorin.

Als alte Dame trug sie ausschließlich weiße Kleidung. Beim Gehen hinkte sie leicht und stützte sich auf einen Spazierstock mit Elfenbeingriff, was ihre Eleganz noch betonte. Ihr Bubikopf war schon vor dem 40. Lebensjahr ergraut, und als ihre Gesichtszüge mit den Jahren schärfer wurden, ähnelte sie Friedrich dem Großen.

Der französische Regisseur Francois Truffaut setzte ihr mit seinem Film „Jules und Jim“ ein Denkmal. Mit der Freundschaft zwischen dem Österreicher Jules und dem Französen Jim, die sich beide in Catherine verlieben. Und als Geliebte zweier Männer, die vielleicht am meisten ihre Unabhängigkeit begehrten. Als 1962 „Jules und Jim“ mit Jeanne Moreau in der Hauptrolle in den Kinos anlief, saß Helen Hessel unerkannt in der Premiere.

Helen Hessel ist heute nur noch Insidern bekannt. In ihrer fast einhundert Jahre währenden Lebensreise hat sie zwei Weltkriege und eine Inflation erlebt, sie musste ihre Heimat aufgeben und sie verlor ihren Mann und viele Freunde. Trotzdem hat sie das Leben bis zuletzt umarmt. Ich bin mir sicher, dass Sie ihre emotionale Belastbarkeit, ihre Kraft, ihren Mut und ihre Unangepasstheit lieben werden. Genauso wie ich.

Mehr über Helen Hessel in meinem Buch „Unangepasst“. Hier der Link: https://www.amazon.de/Unangepasst-K%C3%BCnstlerinnen-ihre-Kleider-notes/dp/386915277X Es erscheint heute in einer Woche und kann schon bestellt werden.

Weitere Infos zum Buch finden Sie hier: https://stylerebelles.com/unangepasst-kuenstlerinnen-und-ihre-kleider/

Das Foto zeigt Helen Hessel in meinem Modeportrait über sie für SEIN Magazin.

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