Schon vor dem Jahr 2021 war die Modeindustrie in keiner guten Verfassung. Als kränkelndes System hatte sie zuletzt versucht, sich selbst zu überholen. Bikinis wurden präsentiert, während draußen ein Schneesturm wütete, Wintermäntel bei über 30 Grad Hitze. Fast pausenlos wurden Zwischen-Kollektionen präsentiert, dazu noch Haute Couture. Jede Woche aufs Neue versorgten Fast-Fashion Unternehmen ihre Kunden mit neuen Kollektionen. Pausenlos wurden Zwischenkollektionen angeboten, während sich die Designer in die Burn-Outs verabschiedeten. Mitten in diesen Wahnsinn traf das Virus ein.
In der Mode geht es ums Sehen und Gesehen werden. Wir sehen an anderen Menschen und an uns selbst: Wenn eine Pandemie ausbricht, findet sich Mode auf der Liste unserer Prioritäten nicht besonders weit oben. Es gibt keine Anlässe mehr, die voluminöse Seidenbluse zu tragen oder auf High Heels zu stöckeln. Modebewusste Menschen kaufen in diesen Tagen allerhöchstens noch einen Mund/Nasenschutz, gerne aus Seide und mit Goldkettchen und immer passend zum jeweiligen Outfit. „Du musst dein ganzes Leben neu ausrichten, also wird Kleidung, vor allem Mode im Sinne von Trends, weniger wichtig“, sagt Mode- und Kulturhistorikerin Laura McLaws Helms. Es gilt zu Hause zu bleiben und auszuharren, im Schlafanzug oder in der Jogginghose – wen interessiert das noch?
Aber stimmt das wirklich? Ich habe seit Ausbruch der Pandemie nicht weniger eingekauft als vorher, aber anders. Ich kaufe jetzt Kleidungsstücke, die mich beruhigen, mich trösten und mit mir auf bessere Zeiten warten, ohne ihren Wert zu verlieren: neutrale Basics, bequeme Strickhosen und umhüllende, wärmende, gemütliche Pullis oder Strickkleider.
Unter dem Druck der Pandemie beginnen wir zu verstehen, dass wir unsere Verhaltens- und Konsummuster verändern sollten. Nicht länger zu viel reisen, produzieren und kaufen und dabei zu viele Ressourcen verbrauchen. Materielles ist weniger wichtig geworden. Eine andere Auswirkung von Covid betrifft den Arbeitsmarkt. Wer in Kurzarbeit ist oder seine Stelle verloren hat, muss strikt haushalten und gibt sein Geld bewusster aus. Die wenigen Produkte, die noch eingekauft werden, sollen von guter Qualität und regional produziert sein, um lange Lieferketten zu vermeiden und die heimische Modeindustrie zu unterstützen. Wie Sie an dem Shirt sehen, das ich heute trage, möchte ich diesem Gedanken Raum geben. „Save our fashion“ ist eine Aktion der Gerry Weber AG, die stellvertretend für die Industrie und den Handel darum bittet, nicht auf das Ende der Pandemie und damit auf den Niedergang der deutschen Modeindustrie und des Handels zu warten, sondern jetzt shoppen zu gehen. Online, per Telefon oder per click und collect. Weil es sonst bald keine deutsche Modeindustrie und keine lebenswerten Innenstädte mehr gibt.