Ist mir zwar ein bisschen unangenehm, aber diese Geschichte mit Giovanni di Lorenzo ist mir wirklich passiert. Noch nicht lange her.
Kürzlich wurde mein neues Buch „Exil im Paradies“ veröffentlicht. Schon vorher hatte der Verlag die Druckversion an Journalisten geschickt. Ich war zu der Zeit im Winterurlaub auf meinem Zauberberg, und deshalb war für mich alles rund ums Buch ganz weit weg.
So war ich überrascht, als ich Montags die Mail einer Redakteurin von Radio Bremen Zwei im Posteingang meines Laptops sah. Sie fragte, ob ich ihrem Sender ein Interview zum Buch geben wollte. Der Termin wäre schon in zwei Tagen, am Mittwochnachmittag um 15 Uhr 10.
Ihre Mail war so freundlich, dass ich ganz vergaß, wie ungern ich in der Öffentlichkeit oder vor Publikum spreche. Es ist jedes Mal ein Angang. Ich kann es zwar, aber es bleibt ein Angang.
Natürlich fühlte ich mich auch geschmeichelt. Das erste Rundfunkinterview meines Lebens! Ich schickte der Redakteurin die Telefonnummer vom Hotel auf dem Zauberberg und bat um ein paar Angaben zu dem geplanten Interview: Wo und wann es gesendet würde, wie lange es dauerte und welche Fragen sie mir stellen wolle.
In der Nacht schlief ich unruhig.
Radio Bremen! Das war doch der Sender, in dessen Drittem Fernsehprogramm einmal im Monat die Talkshow „3 nach 9“ läuft, mit dem wunderbaren Giovanni di Lorenzo.
Hatte Giovanni nicht kürzlich Iris Berben zu Gast gehabt, sich ihr zugewandt, ihr mit samtener Stimme kluge und einfühlsame Fragen gestellt? Hatte er nicht auch ein wenig mit ihr geflirtet?
Während ich so sinnierte, gingen irgendwie die Pferde mit mir durch. „3 nach 9“ war eine meiner liebsten Fernsehsendungen, auch weil neben den Prominenten immer wieder weniger bekannte, aber durchaus interessante Gäste eingeladen werden, um ihre Ideen, Unternehmungen oder Bücher vorzustellen.
Wenn ich mein Rundfunkinterview nicht völlig vermasselte, könnte es doch vielleicht sein … , könnte es doch ganz eventuell passieren … , würde ich möglicherweise demnächst auch neben Giovanni di Lorenzo in der Talkshow sitzen. Er würde sich mir zuwenden, mir mit samtener Stimme kluge und einfühlsame Fragen zu meinem Buch stellen und ein kleines bisschen mit mir flirten.
Am Dienstag blieb ich, obwohl die Sonne strahlend schien und der Schnee ideal war, im Hotel. Ich wartete auf die Mail aus Bremen. Sie kam nicht. Auch am Mittwoch kam sie nicht. Ich schrieb an die Redakteurin und bat sie höflich, aber mit Nachdruck, meine Fragen zu beantworten. Aber ich hörte nichts.
Um Punkt 15 Uhr 10 schellte das alte, hellgrüne Festnetztelefon im Zimmer 33 auf dem Zauberberg. Als ich den Hörer aufnahm und meinen Namen sagte, hörte sich meine Stimme seltsam fremd an.
Am anderen Ende der Leitung meldete sich eine männliche, wachsweiche Moderatorenstimme.
Sie nannte einen Vor- und Zunamen, den ich vor Aufregung nicht verstand. Im Hintergrund war Musik zu hören.
Die Stimme sagte: Wenn gleich die Musik aufhört, gehen wir live auf den Sender.
Wie bitte?, stotterte ich. Das geht doch gar nicht. Was wollen Sie denn überhaupt fragen?
Keine Sorge, beschwichtigte die wachsweiche Stimme. Ich frage nur Naheliegendes. Dauert auch nicht lange, nur vier Minuten. Aber eines muss ich Ihnen vorab sagen: Ihr Buch kenne ich nicht. Ich hatte keine Zeit, es zu lesen.
In diesem Moment hörte die Musik auf. Ich weiß, dass ich eine Nanosekunde lang darüber nachdachte, einfach den Hörer aufzulegen. Aber ich tat es nicht.
Die wachsweiche Stimme moderierte an: Am Telefon begrüßen wir jetzt Ursel Braun. Frau Braun, Sie haben ja ein Buch geschrieben über Frauen in Los Angeles.
Stimmte das denn? Ich musste kurz überlegen und sagte: Nein! Ich habe ein Buch geschrieben über die Frauen von Künstlern, die in den Vierzigerjahren in Los Angeles im Exil lebten.
Das fand die wachsweiche Stimme hörbar gar nicht gut.
Sie ging nicht weiter auf das ein, was ich gesagt hatte und begann zu schwadronieren. Über die Brände, die gerade in Pacific Palisades wüteten, über die mutigen Feuerwehrleute, über die Villen der Stars, große Katastrophe, all die Verluste!
Da waren drei Minuten vergangen und die wachsweiche Stimme hatte gerade noch Zeit, mir eine Frage zum Buch zu stellen: Sagen Sie mal, Frau Braun, warum gingen eigentlich die Menschen 1940 ausgerechnet nach Los Angeles?
Weil die Sonne so schön schien? Weil Thomas Mann der Supersurfer war? Aber das sagte ich natürlich nicht.
Danke für das Gespräch, sagte die wachsweiche Stimme und ergänzte: Das Buch heißt „Exil im Paradies, 144 Seiten, 20 Euro. Ab heute im Handel.
Nein! sagte ich. Es kommt erst am 22. in den Handel.
Dann war die Leitung tot. Und der wunderbare Mann, der mit mir im Zimmer 33 geblieben war und zugehört hatte, murmelte: Wenn jetzt noch jemand das Buch kauft, fresse ich einen Besen mit Stiel.
P.S. Zum großen, großen Glück hat er sich geirrt! Das Buch ist noch keinen Monat alt und verkauft sich prächtig. Bald kommt es sogar ins Fernsehen, in die Abendschau auf Bayern 3. Und jawoll, ein Hörbuch wird es auch. Ich sags ja nur, falls jemand noch ein tolles Buch sucht.
Liebe Ursel,
tolle Geschichte, meine Güte, ich kann Deine Aufregung verstehen.
Herzlichen Glückwunsch zum neuen Buch.
Viele Grüße aus Köln
Susa
Autor
Danke, liebe Susa. Schön, wieder mal von Dir zu hören. In der Hoffnung, dass es Dir gut geht, schicke ich herzliche Grüße!