Lange Zeit kannten nur Eingeweihte ihren Namen: Christine de Pizan. Ihr Leben und ihre Werke haben es verdient, dass sich das nun ändert. Gehen wir also gut 600 Jahre zurück ins frühe 15. Jahrhundert und treffen auf eine mutige und unangepasste Frau, eine Witwe und allein erziehende Mutter, von Armut bedroht in vom Bürgerkrieg gezeichneten Paris. Dann maßt sie sich auch noch an zu schreiben, und zwar über sich selbst und das Schicksal anderer Frauen. Eine moderne Frau, die uns heute noch ein Vorbild sein kann.
Saßen die Frauen im Mittelalter nicht am Webstuhl und lauschten den Minnesängern?
Dazu hat Christine de Pizan keine Zeit. Nachdem ihr Mann, der königliche Sekretär Etienne du Castel an einer Seuche gestorben ist, steht sie nach zehn Jahre Ehe mit 25 Jahren mitten im unruhigen und nicht ganz ungefährlichen Paris allein da. Als unversorgte Witwe hat sie mit finanziellen Problemen zu kämpfen und muss es schaffen, das Leben ihrer Kinder, ihrer Mutter, ihrer Brüder und einer Nichte finanzieren.
In Venedig als Tochter eines bekannten Arztes und Astrologen geboren, kommt Christine de Pizan mit 4 Jahren mit ihrer begüterten und kunstsinnigen Familie in Paris an. Dort arbeitet ihr Vater bereits seit einem Jahr als Leibarzt, Astrologe und hochangesehener Vertrauter von König Karl V. Sie trägt reich verzierte, kostbare Gewänder und wächst privilegiert im Louvre, dem damaligen Pariser Hof auf. Die klassischen Bildungswege stehen ihr als Mädchen nicht offen, doch sie ist intelligent und wissbegierig und hat Zugang zur Bibliothek ihres Vaters und auch der des Königs.
Christine de Pizan verwirklicht im 15. Jahrhundert ihren unkonventionellen Anspruch, ein Leben als Schriftstellerin, politische Denkerin, Influencerin und Fashionista zu führen.
Christine de Pizans Karriere als Schriftstellerin beginnt aus der Not. Nach dem Tod ihres Mannes steht die „Witwe Castel“, wie sie jetzt heißt, unversorgt und schutzlos da, in einem fremden Land und mit der Verantwortung für eine große Familie. Der Vormund ihrer Kinder veruntreut deren Geld und sucht das Weite, Schuldner stellen unberechtigte Forderungen, Gerüchte, sie unterhalte Liebesaffären verunglimpfen sie.
Trotz des drohenden sozialen Abstiegs bleibt sie eine elegante Frau im pelzgefütterten Mantel oder im scharlachfarbenen Cape, die Wert darauf legt, dass man ihr die Last ihrer Sorgen nicht ansieht. Sie kämpft und überwindet ihre Lebenskrise! Hartnäckig führt sie 14 Jahre lang Prozesse, um zu ihrem Recht zu kommen. Zu Hause in ihrem „studiolo“ widmet sie sich konzentriert Studien der Geschichte und Literatur, verfeinert ihren Schreibstil und verfasst erste Gedichte, dann zunehmend Prosatexte.
Eine unglaubliche Erfolgsgeschichte beginnt.
Sie wird berühmt und schafft ein umfangreiches Werk, etwas völlig Neues, dem Verstand einer Frau entsprungen. Ihre bekannteste Arbeit ist die feministische Utopie „Das Buch von der Stadt der Frauen“, inzwischen ein Klassiker der Weltliteratur. Darin stellt sie Fragen, die für die Epoche sehr ungewöhnlich sind, zum Beispiel: Was wäre, wenn Frauen Zugang zu Bildung hätten, wenn sie politischen Einfluss bekämen, wenn Männer und Frauen gleichberechtigt wären?
Da es den Buchdruck noch nicht gibt, schreibt sie ihre Texte mit Tinte und Feder auf Pergament und verziert sie mit verspielten Banderolen und kleinen Zeichnungen oder lässt sie von Kopisten oder ihrem Sohn Jean abschreiben und illustrieren. Es gelingt ihr, zahlungskräftige Mäzene zu gewinnen und ein internationales Netzwerk zu bilden, zu dem auch Mitglieder des Hochadels zählen, darunter die Königin Isabeau de Bavière, der Frau König Karls VI. gehört, mit der sie eine lebenslange Freundschaft unterhält.
Im Alter verliert sich ihre Spur in den Wirren des in Frankreich tobenden Hundertjährigen Krieges. Vermutlich zieht sie sich in die Einsamkeit und Sicherheit des Dominikanerklosters in Poissy. zurück, in dem auch ihre Tochter Marie lebt. Hier folgt sie der „süßen Last des Studierens“ und Schreibens bis zu ihrem Lebensende.
Die Informationen zum Text stammen aus dem Buch Christine de Pizan: Ich, Christine. Autobiografische Texte. Herausgegeben und übersetzt von Margarete Zimmermann. Berlin 2024.
Ein besonderes Geschenk zu Weihnachten ist Christine de Pizan wichtigstes Werk, die im Jahr 1405 erschienene Streitschrift „Das Buch von der Stadt der Frauen“, herausgegeben und aus dem Mittelfranzösischen übersetzt von Margarete Zimmermann.
Um beeindruckende, erfolgreiche Frauen geht es auch hier: Unangepasst:Künstlerinnen und ihre Kleider