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Eine Frau, die sich was traute

Eine Frau, die sich was traute6 Wochen Urlaub in Frankreich! Da hatte ich viel Zeit zum Lesen. Es ging um Speisekarten, manchmal eine französische Tageszeitung oder Illustrierte, manchmal um einen Fund aus einer kleinen, lokalen Buchhandlung. Dabei entdeckte ich die Schriftstellerin Colette.

Umgeben von ihren Katzen, schwer arthritisch, aber hoch diszipliniert in ihrem Bett sitzend, vor dem speziell angefertigten Bettschreibtisch, auf dem auch das Schminktöpfchen nicht fehlte -so kennt man die Autorin Colette (1873-1954) von Fotos aus den Fünfziger Jahren. Kuscheliges Kraushaar, in luxuriösen Seidenkaftanen, einen Samtschal um die Schultern gelegt – und immer, immer von schwarzem Khol umrandete, funkelnde Augen im dick zugepuderten Gesicht. 1925 beschrieb sie in 12 Artikeln für die Französische „Vogue“ ihre Lust, sich zu inszenieren und ihr Unverständnis gegenüber Frauen, die das nicht taten. Colette –Autorin von Welterfolgen wie „Gigi“ und „Chéri“ -in Frankreich ist sie so etwas wie ein Nationalheiligtum.

Zu ihren Lebzeiten war das anders. Die einen ächteten, die anderen achteten sie – das zeigte sich auch kurz nach dem Tod: Als Colette 1954 mit 81 Jahren in Paris starb, verweigerte der dortige Erzbischof ihr wegen ihres unziemlichen Lebenswandels eine religiöse Zeremonie. Frankreich aber ließ ihr als erster Frau überhaupt ein Staatsbegräbnis zuteilwerden, und Tausende gaben ihr das letzte Geleit.

Die Künstlerin liebte die Provokation. Sie trat als Nackttänzerin auf, stieg als Boxerin in den Ring, rauchte Opium und schrieb für den Zeitgeschmack ziemlich klar und zugleich stilvoll über erotische Abenteuer.

1873 wird Colette im Burgund geboren, wo sie wohlbehütet aufwächst. Nach eigenem Bekunden wäre sie am liebsten Seemann geworden. Der Ernst des Daseins holt sie ein, als ihr Vater die Familie in den Ruin führt. Als sechzehnjähriges Landei ohne Mitgift trifft sie bei einem Paris-Aufenthalt den vierzehn Jahre älteren Literaten und Partylöwen Henry Gauthier-Villars, bekannt unter dem Pseudonym Willy. Er führt sie in die feinere Gesellschaft ein, mit zwanzig zieht sie zu ihm und wird seine Frau. Bald taucht sie in die Halbwelt ein, umgeben von Kurtisanen und weniger edlen Prostituierten und verkehrt in lesbischen Zirkeln, die bei reichen, einflussreichen Pariserinnen en vogue sind.

Mehr aus Experimentierfreude als mit Ambitionen beginnt sie, Erinnerungen an ihre Mädchenjahre zu notieren. Sie tut es auf Anregung ihres Gatten, der die daraus entstehende «Claudine»-Reihe dann jahrelang unter seinem eigenen Pseudonym publiziert. Von Band eins, «Claudine à l’ École», werden im ersten Monat 40 000 Exemplare verkauft.

Bald hat Colette es satt, von ihrem Mann betrogen und ausgenutzt zu werde, mit dem sie sich ein paar Jahre lang die Geliebte geteilt hatte. Sie trennt sich zumindest privat von ihm, ihre Werke werden inzwischen mit «Colette» statt mit «Willy» signiert. Zwischendurch feiert sie Bühnenerfolge, europaweit etwa mit einer freizügigen Pantomime-Solo-Show. Dann wendet sie sich wieder dem Schreiben zu. Sie will ihr Leben damit etwas erden, doch sie bleibt eine Frau, die in keine Schublade passt. Mit vierzig schlüpft sie auch noch in die Mutterrolle. Bel-Gazou kommt 1913 zur Welt – und wird mit acht Jahren ins Internat abgeschoben. Einige Jahre später nimmt sie ihren sechzehnjährigen Stiefsohn zum Liebhaber, mit knapp sechzig nutzt sie ihren zur Marke gewordenen Namen zur Gründung eines Schönheitssalons.

In ihrer letzten Lebensphase erhält sie die breite Anerkennung, die in ihren Anfängen noch undenkbar gewesen ist: Sie wird gefeiert als Grande Dame der französischen Literatur der ersten Jahrhunderthälfte und mit Ehrungen fast schon überhäuft. Nur die katholische Kirche wird ihr die letzte Würdigung versagen.

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