Ihr Vater war ein Hallodri im wehenden Kamelhaarmantel, ihre Mutter stand in der Kittelschürze am Fenster und wartete auf ihn. Diese Ehe konnte nicht funktionieren, registrierte Elke Heidenreich schon als Kind – und sie behielt recht.
Die Autorin hat ein aus 60 autobiografischen Episoden zusammengefügtes Buch über Kleidung geschrieben. Sehr persönlich, witzig, teilweise sentimental und todtraurig, aber vor allem: sehr gescheit. Sie erzählt von einem hocheleganten Kleid in Größe 34 aus einer Boutique in Venedig, das sie gekauft hat, obwohl sie nie und nimmer hineinpassen wird. Manchmal kaufe sie eben Dinge, weil sie schön seien wie ein Kunstwerk. Eine andere Geschichte handelt von ihrer Rede zur Eröffnung der Salzburger Festspiele 2008. Jürgen Flimm hatte sie dazu eingeladen, wie hätte sie nein sagen können: Was sie nicht weiß: Sie soll vor 1500 Menschen in Samt und Seide sprechen, ihr Vortrag wird live im Fernsehen übertragen und auf Großleinwänden in der ganzen Stadt zu sehen sein. Nun hockt sie da in Reihe eins, hat es nicht mehr zum Frisör geschafft, trägt ein dilettantisches Make-up, Ballerinas und ein Kleid ihrer Mutter. „Es war von 1935, schwarze Seide mit weißen Punkten, und es hatte auf dem Rücken Mottenlöcher, aber ich liebte dieses Kleid.“ Plötzlich kommt sie sich schäbig vor. Dass ihre Rede trotz hochschießender Nervosität souverän über die Bühne geht, hat ebenfalls mit dem Kleid zu tun. „Irgendwie gab mir dieses alte, geliebte, durch den Krieg gerettete Kleid Kraft.“ Als alles überstanden ist, sitzt sie erleichtert auf der Toilette und hört vor der Kabinentür zwei Damen plaudern. Gescheit, sei die Heidenreich ja schon, sagt die eine. Aber fesch sei sie nicht, entgegnet die andere. Da öffnet die Autorin die Tür, sieht die geschmückten, ondulierten Damen erbleichen und sagt, im Triumph davonrauschend: „Aber fesch sind doch Sie.“
Das ist der Heidenreich-Ansatz: die Bedeutung von Kleidung im Kontext von Anlass, Zeit und der eigenen Mangelhaftigkeit darzustellen. Denn Mode kann ja auch ein Medium der Erniedrigung sein. Weil man am Ende niemals so groß, schlank, glamourös aussieht wie ein Topmodel. Weil man dünne, graue Haare hat, zu kurze Beine und statt einer Taille einen schwabbeligen Rettungsring.
Kleidung kann so vieles. Zum Beispiel über Liebeskummer hinwegtrösten. Dem einen, der sie partout nicht in sein Leben lassen will, klaut Heidenreich die Jacke, streift sie über, inhaliert den Duft und fühlt sich geliebt. Der Übernächste, der Vielversprechende, schickt ihr zum Geburtstag ein Päckchen. Sie öffnet es im Beisein ihrer Freundinnen. Der Inhalt: Reizwäsche. Am nächsten Tag wird er abserviert.
Es geht um Frida Kahlo, die ihre körperliche Versehrtheit unter bunten Kleidern verbarg, um Coco Chanel, die mit Kleidern eine Revolution auslöste, um die mühelose Eleganz von Männern wie Charles Schumann, der mit weißem Hemd, langer, weißer Schürze und barfuß in handschuhweichen Lederslippern hinter seinem Münchner Bartresen steht. .
Amüsante Lektüre. Kann ich sehr empfehlen!
Elke Heidenreich: Männer in Kamelhaarmänteln. Kurze Geschichten über Kleider und Leute. Hanser Verlag München. 224 Seiten, 22 Euro.