Meine Großmutter war eine praktisch veranlagte, uneitle Frau. Sie brachte 8 Kinder zur Welt, von denen 6 überlebten. Die Mittel waren knapp. Als die Großmutter in den Nachkriegsjahren so alt war wie ich jetzt, besaß sie zwei Garnituren, die sie wertschätzte und entsprechend hegte und pflegte. An Wochentagen trug sie einen anthrazitfarbenen Kleiderrock mit bunten Blusen und darüber eine Kittelschürze. Die weiße Bluse und das dunkelblaue Kostüm waren dem Sonntag vorbehalten.
Mit meiner Großmutter teile ich die Liebe zu Blusen. Meine Oma besaß eine bescheidene Anzahl davon, während mein Schrank proppevoll hängt. Wenn ein besonderes Ereignis näher rückt, kann ich mich stundenlang mit der Frage beschäftigen: Welche Bluse ziehe ich zu welchem Rock oder zu welcher Hose an?
In diesem Jahr merke ich, wie der Klimawandel mein Denken und mein Konsumverhalten verändert. Ohne hier groß erzieherische Vorträge halten zu wollen, möchte ich dies loswerden: Jeder Deutsche kauft im Durchschnitt 60 Kleidungsstücke pro Jahr. Alle sechs Tage eins. Weil sie wenig Geld gekostet haben, werden 6 von 10 dieser neuen Kleidungsstücke innerhalb eines Jahres wieder weggeworfen. Viele davon fallen in den Bereich Fast Fashion und sind unglaublich günstig. Den Preis zahlen Näherinnen zum Beispiel in Bangladesh, die an 6 Tagen in der Woche 14 Stunden täglich arbeiten, nur 25 Cent die Stunde verdienen und von diesem Geld nicht einmal ihren Lebensunterhalt bestreiten können.
Nur wir Konsumenten können daran etwas ändern. Indem wir sagen: Ich will kein Kleidungsstück tragen, das unter grausamen Arbeitsbedingungen hergestellt wurde. Und ich gebe auch kein Geld dafür aus, sondern lieber für etwas, an das ich glaube und das meinen Werten entspricht. Dann verändern sich auch die Textilunternehmen. Nicht weil sie so menschenfreundlich sind, sondern weil sie Geld verdienen wollen. Erst wenn wir unser Kaufverhalten verändern, d.h. weniger oder bewusster kaufen und lieber in ein teures, nachhaltig produziertes Teil investieren, als in Billigläden 5 Teile für je 5 Euro einzushoppen, werden Politik und Textilindustrie sich bewegen.
Bei mir ist, was Nachhaltigkeit im Kleiderschrank betrifft, Luft nach oben. Doch wie viele andere Menschen versuche ich, etwas zu tun. Auf diese Weise ist Vintage ins Spiel gekommen. Kleidung vom Flohmarkt oder aus dem second hand Laden war mir noch vor wenigen Jahren ein bisschen suspekt. Mittlerweile gilt sie fast schon als hip. Denn weil sie schon da ist und für ihre Produktion keine neuen Rohstoffe verbraucht werden, ist sie die effizienteste Art nachhaltigen Kleiderkonsums.
Für mich funktioniert Vintage shopping am besten auf Reisen, wenn ich Zeit habe, nach schönen und außergewöhnlichen Teilen zu suchen. Oft sind die Dinge, die ich finde, mit besonderen Erinnerungen verbunden, die sie für alle Zeiten wertvoller machen. Ein Kimono vom Flohmarkt in Berlin fühlt sich für mich interessanter an als ein gebrauchter Mantel vom Straßentrödel auf dem Parkplatz am Real-Markt in meiner Nachbarschaft. Ein Kleid aus dem second hand Laden unter den Arkaden im Palais Royale erscheint mir begehrenswerter als ein Kleid aus dem Oxfam-Geschäft in der heimischen Fußgängerzone.
Vintage shopping kann, wenn man es noch nie gemacht hat, etwas speziell sein. Im Klartext: Second hand Läden können auch muffig und unübersichtlich wirken und die Kundin wortwörtlich mit der Nase darauf stoßen, dass sie hier in der ausgemusterten Kleidung fremder Leute herum wühlt. Doch mehr und mehr gibt es auch die luxuriösere Geschäfts-Variante, in der die Ware ansprechend präsentiert wird.
Das Problem bei Vintage-Mode ist: Sie ist nicht aktuell. Man sieht sie in keiner Werbung und in keiner Frauenzeitschrift. Wir Kundinnen brauchen eine Art Trüffelschwein-Gen, um in dem ganzen Gewusel das eine schöne Teil zu entdecken. Und wenn wir es finden, müssen wir selbst entscheiden, ob wir the hottest piece ever vor uns haben oder einen alten Lappen, der direkt nach dem Kauf zur Schrankleiche mutiert.
Auf dem Foto trage ich einen Max Mara Mantel. Bis an mein Lebensende werde ich den Tag preisen, an dem ich ihn fand. Im second hand Laden meines Vertrauens, der übrigens immer top aufgeräumt ist, habe ich 80 Euro dafür bezahlt.
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Richtig! Und der Mantel ist toll. Gerade heute habe ich mich nach einem Mantel umgeschaut. Bei Ulla im Shop, ich trage ja Plus Size viel Geld für Polyestermäntel. Jetzt war ich mutig und habe 49 Euro überwiesen für einen Second Hand René Lazard Wollmantel in meiner Größe. Jetzt heisst es Daumen drücken dass er mir passt.
Liebe Grüße Tina
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Danke für Dein Feedback, liebe Tina. Ich halte die Daumen, dass der Mantel passt. Vielleicht zeigst Du ihn ja demnächst in Deinem tollen Blog. Liebe Grüsse!
Liebe Ursel,
ich kaufe seit 30 Jahren sehr viele Kleidungsstücke, Handtaschen, Tücher, Schals und auch Schuhe (wenn noch nicht zu sehr abgeliebt) Second Hand. Da gibt es in Köln sehr sehr viele Gelegenheiten. Solche und solche, Du weist schon…
Dein Mantel ist wunderschön. Ich glaube, ich würde die Ärmel etwas kürzer tragen, nur bis zur Daumenwurzel. Aber das ist, wie alles, Geschmackssache! Er steht Dir in jedem Fall sehr gut und ist eine Augenweide.
Mit Gruß,
Susa
Autor
Wie immer freue ich mich sehr über Deinen Kommentar, liebe Susa. Da Du gute Erfahrungen mit second hand Schuhen und Taschen gemacht hast, werde ich ab jetzt auch mal danach gucken.
Die Sache mit dem Ärmel ist mir gar nicht aufgefallen. Aber jetzt, wo Du es schreibst, überlege ich mal.
Herzliche Grüße!