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Sind gebrauchte Kleidung und Schnäppchen das neue Statussymbol?

Letzte Woche traf ich eine Freundin, die immer ausgesprochen gut gekleidet ist. Ich fragte sie, wo sie ihren schönen, schwarzen Mantel erstanden habe. Sie sagte, im Lagerverkauf von Annette Görtz. Es sei ein Modell aus der Wintersaison 2018, um 70 Prozent reduziert gegenüber dem damaligen Ladenpreis. Und übrigens, ergänzte sie, ihre Mütze und ihre Handschuhe stammten aus der Brockensammlung in Bethel. Sie fragte mich nach meiner Tasche, und ich sagte: Ein-Euro-Laden. Es sieht so aus, als sei es aus der Mode gekommen, in ein Geschäft zu gehen und zu regulären Preisen einzukaufen. Schnäppchen und Vintage-Teile sind der neue Trend.

Viele von uns kaufen Kleidung second hand oder in Schluss- oder Lagerverkäufen.

Früher sprach man darüber nur hinter vorgehaltener Hand. Von einer immer stilvoll gekleideten Freundin, die einmal wohlhabend verheiratet war und nach ihrer Scheidung wenig Geld hatte, wusste lange Zeit nur ich, dass sie ihre gesamte Kleidung in der Brockensammlung in Bethel einkauft. Wenn sie gefragt wurde, wo sie ein bestimmtes Teil erstanden habe, benutzte sie einen Satz, der in gewissen Kreisen gut ankommt: „Das habe ich in Düsseldorf gekauft.“

Heute sprechen mehr und mehr Frauen mit einem gewissen Stolz darüber, dass sie gebrauchte Kleidung tragen oder Teile aus Lagerverkäufen, die nicht brandneu sind, sondern schon einige Jährchen in einer Lagerhalle auf dem Bügel hingen oder im Regal vor sich hindümpelten.

Denkt man an die Vergänglichkeit von Mode und die vielen sozialen, ökologischen und politischen Krisen der letzten Jahre, macht das Sinn. Viele von uns kaufen Kleidung heute bewusster und kritischer. Ich kenne auch Frauen, die gar nichts mehr einkaufen. Vielleicht weil sie in der Pandemie ihren Kleiderschrank aufgeräumt und dabei festgestellt haben, dass sie bis zum Lebensende alles haben, was sie brauchen – selbst wenn sie 110 würden. Oder weil sie nicht mehr berufstätig sind und nach Jahrzehnten in anspruchsvollen Positionen, in denen sie eine Funktion oder eine Firma repräsentierten, ihren Lebensstil verändert haben. Sie genießen, sich nicht mehr präsentabel herrichten zu müssen und laufen den ganzen Tag in Fleecejacken und Jogginghosen herum.

Längst ist klar: Die nachhaltigste Form des Kleider-Einkaufs ist, keine Kleider einzukaufen.

Was mich betrifft, wäre es sehr idealistisch, davon auszugehen, dass ich diese selbst verordnete Enthaltsamkeit lange durchhalten würde. Doch als Folge der Pandemie fragt man sich schon: Wozu brauchen wir diese vollgestopften Kleiderschränke? Was wollen wir mit dem ganzen Krempel?

Die beste Art, das herauszufinden, besteht darin, alles anzuziehen. In meinem Fall: die sieben Jahre alte, rote Tasche aus der Brockensammlung, den fünf Jahre alten Strickmantel aus einem Lagerverkauf, die dunkelblaue Hose, 20 Jahre alt, die dank ihres hohen Stretchanteils immer noch passt, den Schal – einem Weihnachtsgeschenk von vor 3 Jahren und die Sonnenbrille, einem Schnäppchen aus dem Winterschlussverkauf in Italien. 10 Jahre alt.

Ich fühle mich wohl, wenn ich Schuhe trage, die schon sieben Jahre alt sind und immer noch gut aussehen.

Oder wenn ich einen Mantel anziehe, den ich vor neun Jahren im Second hand-Geschäft gekauft habe. Sie geben mir das Gefühl, dass ich damals einen guten Riecher hatte. Ich denke, es hat auch mit Selbstbestimmung zu tun, wenn man eine Entscheidung getroffen hat für Kleidungsstücke, die gebraucht, günstig oder nicht mehr brandaktuell waren, und man Jahre später feststellt, dass die Entscheidung richtig war. Wenn man sich über Modetrends und das, was Frauenzeitschriften und viele Modebloggerinnen propagieren, hinweggesetzt hat. Frauen mit Tausenden von Followern, die auf Instagram in geschenkten Lederhosen so selbstbewusst über den Markusplatz in Venedig paradieren, dass man fürchtet, der Canale Grande laufe über. Und die ihre geschenkten Lederhosen mit einer solchen Inbrunst bewerben, dass die Strategie dahinter wie zäher Zuckerguss aus ihrem Blog heraustropft. Die Leserin, die aussehen möchte wie die coole Bloggerin, bestellt die Lederhose online, zieht sie an und ist unglücklich, weil sie nicht aussieht wie die coole Bloggerin in Venedig, sondern wie eine Frau vor der Spiegeltür ihres Schlafzimmerschranks, die sich in eine Lederhose gequetscht hat, die überhaupt nicht zu ihr passt.

Wir sehen nicht gut aus in Kleidung, die trendy ist, sondern in Kleidung, die zu uns passt.

Ich glaube, wir sehen sogar richtig gut aus, wenn wir Dinge tragen, die gegen den Trend laufen. Wir werden möglicherweise oder hoffentlich bis ans Ende unserer Tage Spaß am Einkaufen haben, aber vielleicht ist ausgerechnet das älteste und günstigste Teil in unserem Kleiderschrank das originellste. Das, in dem wir uns wohl fühlen und am meisten aussehen wie wir selbst.

Bis nächsten Mittwoch und herzliche Grüße
Ursel

Ihr möchtet wissen, wo Ihr günstig Designer-Schnäppchen kaufen könnt? Cerstin hat es recherchiert. Bitte hier klicken.
Ihr interessiert Euch generell für das Thema Kleidung? Dann könnte auch dieser Artikel über Kleidung älterer Frauen und was sie so interessant macht etwas für Euch sein.

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2 Kommentare

  1. Susa Berg
    24/11/2021 / 13:33

    Liebe Ursel,
    ich stimme Dir voll zu! Kleidung hat doch kein Mindesthaltbarkeitsdatum! Gute Qualität kaufen, die Kleidung (die Schuhe) pflegen und lange Freude daran haben! Kunstlederhosen gehen schon mal gar nicht, denn auch die beste (Plastik)qualität zerbröselt und reißt nach wenigen Jahren. Ich glaube, ich habe die Venedigbilder gesehen, die Du erwähnst. Ach, wenn wir auch immer unsere professionelle Fotografin zur Seite hätten… so ist eben alles „echt aus dem Leben“!
    Grüße!
    Susa

  2. Anneli
    21/11/2022 / 10:32

    Fast Fashion ist nichts für mich. Lieber gute Qualität. Gebrauchte Kleidung finde ich super, auch wegen der Nachhaltigkeit.

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