Im vierten Monat wird es richtig schlimm. Sie gucken in den Spiegel, sehen ein bleiches Geschöpf und denken: „Ich finde diese grauen Haare auf meinem Kopf GRAUENHAFT.“ Vorausgesetzt, Sie blicken noch in den Spiegel. Ich versuche gerade, das so wenig wie möglich zu tun. Aber es ist nicht nur die Farblosigkeit der Haare, es ist auch ihre veränderte Struktur. Das nachwachsende graue Haar auf dem Oberkopf sprießt fein und watteweich, das noch gefärbte und dadurch dickere Haar hängt schwer wie Blei am Flaum. Es ist mir ein Rätsel, wie man daraus eine Frisur formen soll.
Bei allem Enthusiasmus für die gute Sache – natürlich graues Haar, Abkehr von der Chemie, das Spiel nicht mehr mitspielen – sind wir doch immer auch eitel. Ich finde das absolut in Ordnung, gerade ein älterer Mensch sollte nicht mal im Traum darüber nachdenken, seine Eitelkeit aufzugeben. Es ist nichts dagegen einzuwenden, dass wir uns in unserem Bestzustand präsentieren möchten. Von dem sind Sie, was die Haare betrifft, im vierten Monat der Entfärbung allerdings weit entfernt. Das geht sogar so weit, dass Sie meinen, sich hinter einer Hauswand verstecken zu müssen, sobald Sie auf der Straße einem Mann begegnen, für den Sie früher mal geschwärmt haben. Ich garantiere Ihnen, das ganze Geschwirl fällt Ihnen wieder ein, wenn Sie in die Versuchung geraten, das Haus ohne Mütze oder ohne Lidstrich zu verlassen. Denn obenherum sehen Sie jetzt aus, als trügen Sie untenherum graue Schnürschuhe und Funktionshosen, bei denen Sie im Sommer unterm Knie das halbe Hosenbein mit dem Reißverschluss abtrennen.
Der Ausweg
Als Ausgleich muss eine farbenfrohe und flotte Garderobe her. Ein Wickelkleid in Türkis wäre gut, eine hellblaue Bluse mit weißen Punkten, ein kornblumenblauer Overall, eine sonnengelbe Strickjacke, ein korallenroter Trench, alles mit korrespondierenden Schuhen und Taschen. Natürlich werden Sie versucht sein, ausschließlich feinste Materialien, gediegene Schnitte, Zeitlosigkeit in Betracht zu ziehen, denn es reicht schon, dass Sie auf dem Kopf so aussehen, als könnten Sie sich den Friseur nicht mehr leisten. Was soll es, wenn Sie für einen Moment die Wirklichkeit in Form von Steuerbescheid, Dispokredit und Nebenkostennachzahlung ignorieren und einen Betrag für Ihre Garderobe ausgeben, für den Sie früher einen Kleinwagen gekauft haben? Wenn Sie jetzt, sagen wir mal 3000 Euro für die neue Ausstattung auf den Ladentresen blättern, kann man das als exzellentes Investment betrachten. Das Bad-hair-Jahr dauert noch acht Monate an. Das sind 240 Tage. In dieser Zeit amortisiert sich die Summe auf 12 Euro 50 täglich. Weniger als drei Tassen Kaffee pro Tag. Also drei sehr große Tassen Kaffee. Der Therapeut, den Sie aufsuchen müssten, um den defizitären Blick auf sich selbst wieder in eine positive Einstellung zu verwandeln, wäre jedenfalls teurer.
Und so begann der Selbstversuch:
Mein Leben mit grauen Haaren: Ein Selbstversuch (1)“>Mein Leben mit grauen Haaren: Ein Selbstversuch (1)
Mein Leben mit grauen Haaren: Ein Selbstversuch (2)
Hallo, also ich nenne die „graue Eminenz“ auf meinem Kopf „Richard Gere“ und Richard Gere darf nur kurzzeitig bei mir zu Besuch sein. Der Lockdown ließ ihn dann noch an den Schläfen kurz verweilen und zum Glück wurde ihm dann Mitte März endlich den Garaus gemacht. Natürlich ist es gesünder und so viel natüüürlicher sich der Natur hinzugeben, aber ich möchte nicht wie meine Oma aussehen. Natürlichkeit hin oder her – ich nicht! Meine Mutti hat bis sie 80 war, ihre Haare alle 6 Wochen färben lassen und wenn es bei mir soweit ist, dann werde ich es auch so tun.
Meine Meinung: keine Frau muss heutzutage wie ihre eigene Großmutter aussehen. Sorry Mädels, da bin ich ganz eigen.
In diesem Sinne
Liebe Grüße
Hanuki
Autor
Jede wie sie mag.