Es war Liebe auf den ersten Blick – das Boot und ich. Wow! dachte ich, als ich es auf der Charterbasis in der Nähe von Rheinsberg zum ersten Mal betrat. Ein Traum in Weiß und Blau und ein wahres Raumwunder mit allen Annehmlichkeiten einer Ferienwohnung. Zwei Schlafräume mit Duschen und Toiletten, eine mit allem Schnipp und Schnapp ausgestattete Küche und ein sogenannter „Salon“ mit einer Sitzecke, die mit wenigen Handgriffen in ein breites Bett verwandelt werden kann. Damit bietet es Platz für 4 bis 6 Personen. Aus dem Salon führt eine Treppe ans Oberdeck, das mit einer weiteren Sitzecke und einem Außengrill ausgestattet ist. Das Boot verfügt über zwei Steuerstände, einen unter und einen auf Deck, einen Frisch- und einen Abwassertank, Landstromanschluss und Heizung. Sogar Radio und TV mit DVD-Player sind vorhanden. Für uns überflüssig, weil wir es genossen haben, mal nichts von der Welt da draußen mitzubekommen.
Leinen los!
Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern ist das Fahren von Motorjachten und größeren Hausbooten in Deutschland streng geregelt. In der Regel braucht man einen Sportbootführerschein für Binnengewässer (SBF Binnen), den ich vor vielen Jahren abgelegt habe. In Berlin ist das Führen eines Motorbootes nur mit gültigem Führerschein erlaubt.
Für Rundfahrten mit kleineren Booten auf den Seen im Umland sind oft keine Vorkenntnisse erforderlich. Vor Beginn der Flussreise kommt ein Techniker an Bord, der die Bedienung des Bootes erklärt. Die Charterbescheinigung (als Führerscheinersatz) gibt es nach einer mindestens dreistündigen Einweisung, einer Art Crashkurs.
Danach heißt es: Motor an, Leinen lösen und ab geht die Post! Die Höchstgeschwindigkeit auf den Wasserwegen beträgt zwischen 6 und 8 km/h, was einer schnelleren Schrittgeschwindigkeit entspricht. Oft tuckerten wir aber viel gemächlicher dahin, um die schöne Aussicht zu genießen oder weil wir die Angler am Ufer nicht stören wollten oder dem Gegenverkehr ausweichen mussten.
Die Route
Mit über 3000 Seen und mehr als 32000 km Fließgewässern gehört die Mark zu den gewässerreichsten Regionen Europas. Unsere Route ist der Klassiker der Region, sie führt von Schloss Rheinsberg nach Potsdam. Es geht über naturbelassene Flüsse und romantische Seen, Herrenhäuser und Parks ziehen vorbei. Fischräuchereien und Gartenlokale am Ufer locken an Land. Den angebotenen Leckereien konnten wir in keinem Fall widerstehen. Weder dem Beelitzer Spargel noch dem Zander, dem Hecht und dem Aal, die gedünstet, gebraten oder geräuchert serviert werden.
Wir nahmen unser Boot an der Marina Wolfsbruch in Empfang. Der 1. Stopp war Rheinsberg mit seinen schönen historischen Gebäuden, dem kleinen Stadthafen und urigen, am Wasser gelegenen Kneipen. Wahrzeichen der Stadt ist das imposante Rokoko-Schloss des Alten Fritz. Weiter gings zur Wasserstadt Fürstenberg, die malerisch auf drei Inseln zwischen Röblinsee, Baalensee und Schwedtsee liegt und dadurch einzigartig in Deutschland ist. Wir passierten das kleine Fischerdorf Himmelspfort, das auch als „Pforte des Himmels“ bezeichnet wird und sich zum Touristenmagneten gemausert hat, weil hier angeblich der Weihnachtsmann wohnt. Durch die Seen der Uckermark ging es weiter nach Zehdenick, Oranienburg, Spandau und schließlich mitten durch Berlin. Potsdam war unsere Endstation. Für die insgesamt 210 km hatten wir 7 Tage Zeit.
Downtown Berlin
Auf Deck eines Schiffes zu sitzen und auf der Rückseite des Charlottenburger Schlosses vorbei in den Bezirk Tiergarten hinein zu tuckern, ist schon ein besonderes Gefühl. Wir freuten uns auf die Stadt und hatten eigentlich vor, zwei Nächte in Berlin zu ankern. Das Boot machten wir in Tiergarten fest, schlossen es ab und fuhren mit der UBahn in die Stadt. Was bei Berlinbesuchen sonst immer schön ist – shoppen rund um den Kudamm und Abendbrot im Lieblingslokal in der Schlüterstraße – fühlte sich dieses Mal falsch an. Zu laut, zu viele Autos, zu viele wichtige Menschen, zu viele Luftküsse links und rechts bei suchenden Blicken, ob nicht irgendwo ein noch wichtigerer Mensch sitzt. Ganz schnell waren wir uns einig, dass das Großstadt-Gewese nicht passte und wir lieber wieder in die Ruhe wollten. Früh am nächsten Morgen legten wir ab, tuckerten durch die Morgensonne durchs noch ruhige Regierungsviertel, unter der Oberbaumbrücke hindurch in den Landwehrkanal und an Spandau vorbei. Wir ankerten mitten im idyllischen Wannsee. Beim Sonnenuntergang wurde auf dem Außengrill in himmlischer Ruhe das Abendbrot zubereitet. Was für eine Wohltat!
Ein Kurs in Entschleunigung
Auf dem Boot hatte mein Handy keinen Empfang mehr, was an Prinz Harry und Meghan Markle lag. Auf der Autofahrt in die Mark Brandenburg waren wir mittags auf der A 10 in einen dicken Stau geraten. Ganz ungelegen kam er mir nicht, denn so konnte ich den Aufmarsch der Marabu-Hüte auf der royalen Hochzeit in Windsor live auf dem Handy mitverfolgen. Gerade als ich den Eindruck hatte, jemand müsse den unsäglichen Preacher zum Schweigen bringen und ihn notfalls mit dem Lasso einfangen, kam die Nachricht, mein Handy-Guthaben für den Monat Mai sei erschöpft. Grrrrrr!
Bei dem Gedanken, für eine Woche komplett offline unterwegs zu sein, wurde mir etwas mulmig. Doch wer mit dem Boot in den Wasserwelten Brandenburgs herumfährt, erlebt die pure Entschleunigung. Wir schipperten geruhsam von Ort zu Ort und entdeckten die Schönheiten der Natur: blaue Seen, prachtvolle Schlösser, klassizistische Herrenhäuser, alte Dorfkirchen, Kraniche, Fisch- und Seeadler, Birkenwäldchen, Uferbegrenzungen aus Weidengeflecht, mit Blumen übersäte Wiesen und riesige Felder mit gelb und weiß blühenden Seerosen auf dem Wasser. Wie spät war es eigentlich? Egal! Wir hatten kein Zeitgefühl mehr. Sonntag oder Montag? Spielte keine Rolle! Auf dem Tisch am Oberdeck lag die Frankfurter Sonntagszeitung. Ich blätterte kurz durchs Feuilleton. Berliner Museen. Kanye West. Egal. Ich vertiefte mich lieber in Fontanes „Stechlin“.
Die Kosten
Die Motoryacht „Royal Mystique“ des Anbieters Le Boat mit Schlafplätzen für 4-6 Personen kostet für eine Woche ca. 3000 Euro. Hinzu kommen die Betriebskosten des Bootes (Diesel, Frischwasser, Abwasserentsorgung) und die Kosten für Liegeplätze, PKW-Parkplatz und die Verpflegung an Bord.
Mein Fazit
Eine Bootsfahrt steht und fällt mit dem Wetter. Wir hatten Riesenglück: Eine Woche blauer Himmel, angenehme Temperaturen, wenig Wind. Jede Mahlzeit wurde im Freien eingenommen. Ich war von der Stille und Weite der Landschaft und dem glitzernden Netz aus Wasserstraßen begeistert und habe mal so richtig die Seele baumeln lassen. Man geht aufs Boot und lässt die Welt hinter sich. Stattdessen Besinnung auf das Wesentliche, Zeit für die einfachen Dinge im Leben und ganz viel Zeit für sich selbst.
Haben Sie Lust bekommen, etwas mehr Zeit in Berlin zu verbringen? Hier geht’s zu unseren Tipps für einen perfekten Tag in Kreuzberg.