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Ist Pilates etwas für mich? Ein Selbstversuch

PilatesPilates ist zum Trendsport geworden, doch was bewirkt es für Menschen Ü70? Können Ältere wie ich damit überhaupt noch anfangen und was müssen sie dabei beachten?

Böse Zungen behaupten, ich sei die unsportlichste Person der Welt und man kenne mich nur liegend auf Sofas und in Hängematten. Ganz von der Hand weisen kann ich das nicht. Mein Sportprogramm beschränkt sich auf gelegentliches Walken und moderates Skilanglaufen in den zwei Wochen Winterferien jedes Jahr.

Doch mein Körper signalisiert mir, dass ich etwas verändern sollte. Deshalb habe ich vor einem Monat, wie Sie im Foto sehen, mit Pilates begonnen. (Ja, bei meinem Sportoutfit ist noch Luft nach oben. Ich arbeite dran.)

Auf den ersten Blick sieht der Pilates Reformer in meinem Pilatesstudio aus wie ein modernes Foltergerät.

Eine Art Schlitten, eingerahmt von Holz und Eisenelementen, wird mit Seilen und Federn in der Spur gehalten. Doch soll das Gerät wahre körperliche Wunder bewirken, heißt es: «Nach zehn Stunden fühlen Sie den Unterschied, nach 20 Stunden sehen Sie den Unterschied, und nach 30 Stunden haben Sie einen neuen Körper», prahlte Joe Pilates gerne, wenn es um seine nach ihm benannte Trainingsmethode ging.

Ich wage den Selbstversuch und lege mich in Bielefeld im Pilatesstudio von Wiltrud Lindemann auf diese schwarze, gepolsterte Platte aus Leder und platziere meine Füße angewinkelt auf der kleinen Eisenstange vor mir. Frau Lindemann steht neben mir und korrigiert meine Liegehaltung. Ihr gehört das Studio. Schon seit 1995 unterrichtet sie Pilates und sie kann Joe Pilates’ Aussage bestätigen: „Es ist erstaunlich zu sehen, wie Menschen sich positiv verändern können, wenn sie sich regelmäßig auf die Pilates-Methode einlassen“, sagt sie.

Sie kniet neben den Reformer und hantiert mit den Sprungfedern. Diese dosieren den Widerstand des Schlittens. Dann fordert Frau Lindemann mich auf, langsam Druck in meine Füße zu geben. Der Reformer bewegt sich sachte. Mein Training beginnt. Frau Lindemann macht mich auf meine Atmung aufmerksam und zeigt mir, wie ich bei der Beinbewegung gleichzeitig tief in den Bauch atme. Nun soll ich abwechselnd die Beine strecken und beugen.

Unterstützend steht die Trainerin am Ende des Reformers und hilft mir, meine Füße zu stretchen. Obschon die Übungen mich weder zum Schwitzen noch außer Atem bringen, spüre ich tief in meinem Bauch zum ersten Mal Bänder und Muskeln, von deren Existenz ich nichts wusste.

Ganz schnell wird mir klar: Für Frauen Ü70 ist Pilates geradezu ideal.

Was mir sehr entgegen kommt: Ich quäle oder verausgabe mich nicht gern beim Sport und Pilates ist ein ausgesprochen wohltuendes Ganzkörpertraining, bei dem man  nicht einmal ins Schwitzen gerät. Atmung und Bewegung werden in Einklang gebracht, das Körpergefühl wird gestärkt. Man macht fließende, sanfte Bewegungen, die die Gelenke schonen und die Muskeln strecken. Gleichzeitig atmet man langsam ein und wieder aus. Durch die Anspannung der tiefen Bauch-, Rücken- und Beckenbodenmuskeln wird der Rumpf stabilisiert. Die Methode setzt auf Kontrolle, Präzision und vor allem Flexibilität, was auch, wie ich bemerke, die Psyche positiv beeinflusst.

Pilates sorgt nicht nur für eine starke Körpermitte, sondern fördert auch die Beweglichkeit im gesamten Körper. Ältere Menschen haben häufig Probleme, auf einem Bein stehen und dabei das Gleichgewicht halten zu können – auch dem wirkt Pilates entgegen. Die ältesten Teilnehmerinnen in meinem Studio sind laut Frau Lindemann übrigens 85 und 86 Jahre alt.

Mein Lieblingsgerät im Pilates Studio ist der Schlingentrainer. Man hängt sich dabei mit den Oberarmen in zwei in der Decke des Studios befestigte Schlingen hinein, wobei das eigene Körpergewicht als Widerstand dient: Mithilfe der Schlingen kann man sich in die Waagrechte begeben, manche Positionen sind auch frontal zu den Bändern ausgerichtet. Durch die permanente Instabilität trainiert man insbesondere die Tiefenmuskulatur. Sehr wohltuend!

Wie findet man als Laie eine kompetente Trainerin und ein gutes Pilates-Studio? Dazu 6 Tipps:

  1. Achten Sie darauf, ob die Geräte in einem guten Zustand sind und regelmäßig gewartet werden.
  2. Eine kompetente Trainerin wird während des Trainings klare Anleitungen geben, die korrekte Ausführung der Übungen überwachen und individuelle Anpassungen vornehmen. Dazu sollte die Person zertifiziert sein und mindestens 500 Ausbildungsstunden bei einer anerkannten Pilatesschule absolviert haben.
  3. Pilates ist für die meisten Menschen geeignet außer bei schwerer Osteoporose, künstlichen Hüftgelenken,  Wirbelsäulenerkrankungen oder akuten schweren Krankheitszuständen, die Bewegungseinschränkungen verursachten. Die Vielseitigkeit des Reformer-Trainings macht es für Menschen jeden Alters und Fitnessniveaus möglich, damit anzufangen.
  4. Für sichtbare und nachhaltige Fortschritte wird empfohlen, das Pilates-Training zwei bis drei Mal pro Woche durchzuführen
  5. Die Kosten pro Reformer-Trainingseinheit können je nach Standort, Studio, Trainerin und Gruppengröße variieren. In der Regel liegen die Tarife pro Einheit in einer Gruppe von bis zu 15 Personen zwischen 23 und 75 Euro. Ein Privattraining kann zwischen 80 und 150 Euro pro Stunde kosten.
  6. Wenn Ihnen die Kosten fürs Personal Training oder für Gruppenkurse zu hoch sind, können Sie auch ganz bequem unentgeltliche Online-Trainingseinheiten finden. Besonders erfolgreich ist die Australierin Nicole McPherson. Sie hat während der Pandemie aus der Not heraus angefangen, Videos zu produzieren. Inzwischen haben manche von ihren Youtube-Videos die 3-Millionen-Views-Marke geknackt. In Deutschland gehört Gabi Fastner zu den führenden Pilates-Anbieterinnen. Ihren Youtube-Kanal haben über 600 000 Menschen abonniert.

Joseph Pilates: Vom Training im Gefängnis zum Trend

Joseph Hubertus Pilates aus Mönchengladbach hat Pilates während des Ersten Weltkriegs erfunden – aus Langeweile.  Der gebürtige Deutsche war damals britischer Internierungshäftling und testete mit den Mitgefangenen selbstentwickelte Übungen zur Zentrierung und Stabilisierung des Körpers. Er arbeitete mit dem Eigengewicht und bastelte aus Bettfedern zusätzliche Trainingsgeräte.

Vier Jahre lang blieb Pilates, der ursprünglich eine Lehre als Bierbrauer absolviert hatte, in Haft – und hatte viel Zeit, um seine vielfältigen Sporterfahrungen auf ein neues Level zu bringen.

Nach dem Krieg kehrte er nach Deutschland zurück und verdiente sein Geld als Boxlehrer. In seiner Freizeit beschäftigte er sich weiterhin mit den neuen Abläufen seiner Bewegungslehre: ein ganzheitliches Ganzkörpertraining, bei dem Atmung und Bewegung in Einklang gebracht werden. Durch die Anspannung der tiefen Bauch-, Rücken- und Beckenbodenmuskeln wird gleichzeitig der Rumpf stabilisiert. Aber erst im August 1924 reichte er beim Reichspatentamt in Berlin einen Antrag für „das Körperübungsgerät“ ein. Später taufte er es Reformer.

Die Trainingsmethode wurde mit seiner Auswanderung nach New York im Jahr 1926 populärer. Er nannte sich jetzt „Joe“, sein Studio lag bei der Eighth Avenue, und zum Reformer gesellten sich weitere Trainingsgeräte, die er alle selbst baute. Seinem Training gab er den Namen „Pilates“.

Vor allem Balletttänzerinnen und Choreografen gehörten zu seiner Kundschaft. Unter ihnen auch Berühmtheiten wie die Tänzerin Martha Graham oder der Choreograf George Balanchine. Pilates erstellte für jeden Kunden und jede Kundin ein individuelles Trainingsprogramm. Manchmal entwickelte er sogar neue Übungen für die entsprechende Person.

1945 veröffentlichte er sein erstes Trainingsbuch, „Return to Life Through Contrology“, mit Fotos aller Übungen. Während Joe Pilates in der Ballett- und Tanzszene großen Anklang fand, blieb seine neumodische Übungsmethode im Breitensport bis zu seinem Tod 1967 ein Nischenphänomen. Weltberühmt wurde Pilates erst drei Jahrzehnte nach dem Tod des Fitnesspioniers. Ende der 1990er Jahre machten Prominente wie die Sängerin Madonna, der britische Komiker John Cleese oder die Talkshow-Legende Oprah Winfrey seine Methode weltberühmt.

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