Als ich sie das 1. Mal sah, spielte sie Coco Chanel. Nach der Aufführung sprach ich sie an, weil ich so begeistert von ihrem Auftritt war. Wer den wunderbaren Text geschrieben hatte, wollte ich gerne wissen. Sie selbst, war die überraschende Antwort. Seit diesem Moment wollte ich die Künstlerin mit den vielen Talenten unbedingt interviewen. Heute ist es so weit!
1. Was wären Sie, wenn Sie nicht Schauspielerin wären?
Ich komme aus einer Arztfamilie und wäre sehr gerne Ärztin geworden. Es ist an meinen schulischen Leistungen gescheitert. Ich hätte mir aber auch vorstellen können, Journalistin zu sein, Reisejournalistin zum Beispiel. Ich habe auch viel über Mode nachgedacht. Im Laufe der Karriere habe ich zwischendurch immer mal gemodelt.
2. Hatten Sie von Anfang an Erfolg?
Als junge Schauspielerin habe ich 90 Kilo gewogen. Ich bekam kein Engagement. Ich habe erst mal nur kleine Tiere gespielt. Schildkröten im Panzer, da guckte nur mein Kopf raus. Man wollte mich einfach nicht gerne zeigen, das war ein Riesenproblem. Beim Vorsprechen haben Schauspieldirektoren und Intendanten zu mir gesagt: „Was wollen Sie denn spielen, so wie Sie aussehen?“ Es war ein harter und sehr bitterer Weg, gerade weil ich dachte, es kommt nicht aufs Aussehen sondern aufs Können an. Aber das stimmt nicht. Es kommt am Theater nicht vor, dass sich die kleine Dicke in den unattraktiven Romeo verliebt, einfach weil er so charmant und witzig ist. Ich habe 40 Kilo abgenommen, weil ich Maria Stuart spielen wollte. Das war mein großes Ziel, und das habe ich auch geschafft.
3. Empfinden Sie Druck als ältere Frau, die sich auf der Bühne präsentiert?
Ich nehme wahr, dass der sogenannte Jugendwahn – schön, schlank, makellos, immer gut drauf, belastbar – in allen Bereichen des Lebens ein Thema ist. Allerdings auch bei Männern. Das fängt schon mit den Schauspielschulen an. Da kommen schon bildschöne, dünne Mädchen, die alle aussehen wie Germany´s Next Top Model. Unser Chef hat neulich gesagt: „Wenn ich ne Dicke will, krieg ich gar keine mehr. Ich finde die nicht mehr.“ Von meiner Theaterleitung aus habe ich wenig Druck. Ich habe eher das Gefühl, dass die Erwartungshaltung der Zuschauer ist: Man will bildschöne Menschen sehen. Bühne, Film, Fernsehen und überhaupt die Medien scheinen ein Ort zu sein, an dem man Schönheit erwarten darf.
4. Sie verkörpern in einem selbst geschriebenen Monolog Coco Chanel. Wie kam es dazu?
Durch einen Zufall. In Münster veranstalten wir zu Beginn jeder Saison ein Theaterfest. Der Leiter unserer Öffentlichkeitsabteilung sagte zu mir: „Regine, Du interessierst Dich so sehr für Mode. Mach doch mal was über Mode.“ Also habe ich den Sommer über alles gelesen, was ich finden konnte. Coco Chanel hat sich in der von Männern dominierten Welt der Mode gegen alle Widerstände behauptet. Ihre Mittel, sich durchzusetzen, waren durchaus nicht freundlich. Man könnte auch sagen: korrupt. Gleichzeitig faszinierend und ambivalent, glamourös und genial. Schließlich schrieb ich ihr einen Monolog. Beim Theaterfest kam er sehr gut an und seitdem gehe ich damit auf Reisen.
5. Gibt es ein Kleidungsstück, das Sie beschützt?
Ja, Mäntel. Ich habe einen kleinen Mantel – Spleen. Es gibt wirklich schöne Mäntel, die eine unbestechliche Eleganz haben. Selbst wenn man nicht so tolle Klamotten, aber einen eleganten Mantel trägt, strahlt man eine gewisse Souveränität aus. Ich bin viel unterwegs, da schützen mich Mäntel am besten. Im Winter gerne mit einer Kapuze. Im Second Hand-Laden fand ich einen mit pelzbesetzter Kapuze und Posamentenknöpfen, darin sehe ich aus wie Anna Karenina.
6. Ihr Lieblingskleidungsstück?
Ich habe so viele. Besonders gern mag ich eins, das ich kaum trage, aber einfach gern ansehe. Es ist ein altes Kleid von Heinz Oestergaard. Ein wahnsinnig gut erhaltenes Kleid, das ich für 7 Euro auf dem Flohmarkt gefunden habe. Es ist so schön, dass ich mit passendem Hut und Schuhen auch mal Fotos darin gemacht habe. Außerdem zwei hochgeschlossene, ganz preiswerte Kleider, die wie ein langer, schmaler Pullover geschnitten sind. Sie sehen elegant und dabei unaufwändig aus.
7. Welche Selbstaussage möchten sie mit Ihrer Kleidung treffen?
Schlicht, mühelos und trotzdem auf irgendeine Weise brillant auszusehen. Ohne dass man sieht, da ist jemand ins Bad gegangen und hat Stunden gebraucht. Das ist absolut unsexy. Ich mag auch den Look von Iris Apfel, bunte Hose, bunte Brille, viel Schmuck. Ich bewundere es sehr, wenn Leute es schaffen, sich total barock zu überladen, aber mit Stil anzuziehen. Es wäre nicht meine Sache, aber ich finde es toll. Es macht das Leben bunt und gibt dem Alltag Glamour.
8. Ist „sexy“ eine Kategorie, mit der Sie spielen?
Unbedingt! ich finde es toll, wenn eine Frau, die die Figur dazu hat, einen schmalen Bleistiftrock und ein schmales Oberteil trägt. Ganz ehrlich, ich gucke gerne Frauen auf den Hintern. Wenn eine Frau im Pencilskirt einen schönen Po hat und sie einfach so richtig weiblich aussieht, gefällt mir das total. Ich gucke auch gerne Frauen aufs Dekolleté. Die Andeutung von einer schönen Weiblichkeit, das gefällt mir auch als Frau sehr. Ich bin immer angezogen von Menschen, die eine gewisse Anmut ausstrahlen und sich ihrer Außenwirkung bewusst sind.
9. Hat sich Ihr Blick auf Frauen mit den Jahren verändert?
Ich entdecke heute mehr schöne Frauen als schöne Männer. Wie Ines de la Fressange, eine umwerfend attraktive Frau. Sie zeigt, dass Frauen mit 60 wunderschön und mit sich selbst ausgesöhnt aussehen. Sie hat ein wunderbares Buch dazu geschrieben. Dass sie nicht versuchen müssen, den Rock ein Stück höher und das Dekolleté ein Stück tiefer zu ziehen, um zu zeigen, wie jung sie sind. Der Reiz eines Menschen transportiert sich von innen nach außen, nicht umgekehrt. Und das muss nicht irgendeine prominente frau sein. Eine ältere Frau, die mit Energie, Witz und Selbstbewusstsein ausgestattet ist, ist einfach umwerfend. Sie wirkt sofort anziehend.
10. Viele ältere Frauen klagen ja über ihre Unsichtbarkeit.
Ja, ich nehme das natürlich auch zur Kenntnis. Ich habe längere Zeit in Italien und in New York verbracht. Als junge frau war ich total beeindruckt von diesen eleganten, humorvollen und stilsicheren Frauen, die mein Vorbild wurden. Die waren im Schnitt über 70 und alles andere als unsichtbar. Man sah ihnen die Lust an Mode und den Spaß daran, den Alltag zum Laufsteg zu machen, an. Elegant oder irgendwie phantasievoll auffällig. Und sie bekamen von jungen Menschen jede Menge Komplimente. Natürlich ist das nicht jederfrau`s Sache, aber es gibt ein Leben jenseits von Funktionsjacken und Trekkingsandalen. Ich zeige mich der Welt so, wie ich mich fühle, und ich möchte damit etwas mitteilen. Ich denke, es ist gut, mit sich selbst eine Grundvereinbarung zu haben, die zu jeder Zeit greift und mich davor schützt, mich lächerlich zu machen oder verzweifelt dem Älterwerden zu entkommen. Ein humorvoller Friedensschluss, wenn man so will.
11. Was ist für Sie die schönste Überraschung am Altern?
Dass mich ganz bestimmte Dinge gar nicht mehr aufregen. Hurra! Oder dass ich ganz bestimmte Dinge sagen kann. Ich staune da immer selbst über mich. Warum habe ich das früher nicht gekonnt?
12. Was mögen Sie an Ihrem Beruf?
Als Schauspieler kann man sich direkt zu Verhältnissen in der Welt äußern. Ich kann ein Bild dazu entwerfen und die Figur, die ich spiele, verhält sich dazu. Ich kann alles neu befragen und auflösen oder eine Lösung anbieten, eine Möglichkeit oder einfach eine andere Wahrnehmung. Ich spiele lieber mit Kollegen zusammen, ich bin nicht so gern allein auf der Bühne. Eine Komödie gemeinsam zu spielen und viel Quatsch auf der Bühne zu machen, das macht einfach einen Riesenspaß. Im Moment spielen wir „Wie es Euch gefällt“. Im 1. Teil spiele ich einen 80jährigen Mann und im zweiten Teil eine 17Jährige. Das ist natürlich nicht ganz so ernst gemeint und ein riesiges Augenzwinkern. Ich liebe das sehr. Ein anderer Aspekt ist, dass ich eigentlich nur mit jungen Leuten zu tun habe. Das ist eine Art Hygiene, weil man frisch bleibt und sich auf eine bestimmte Art und Weise immer wieder überprüfen kann. Meine jungen Kollegen haben meist einen energiegeladenen Angang an das, was mit dem Beruf zu tun hat und können sich immer wieder für alles begeistern. Das ist wunderbar ansteckend.
Regine Andratschke (59) hat ein Engagement am Theater Münster. Zusätzlich geht sie mit ihrem sehenswerten Coco Chanel-Programm auf Tournee. Frau Andratscke lebt in Dortmund.
Fotos: Dieter Rüdinger