1. Das Leben ist nun mal nichts für Weichlinge. Ich bin ohne Frage die härteste Arbeiterin, die Sie sich vorstellen können. Natürlich bin ich ein Tyrann! Ein absoluter Albtraum. Kompromisse gibt es nicht. An meinem ersten Arbeitstag bei der Vogue ließ ich mir einen Bridgetisch mit meinem Lunch ins Büro stellen. Ein Sandwich mit Erdnussbutter und Marmelade, dazu einen kleinen Scotch und Zigaretten. Ich gehe nie mit jemandem zu einem Business Lunch. Nie, kein einziges Mal. Das bringt den ganzen Arbeitstag aus dem Takt. Ich schaffte es ab, mittags essen zu gehen.
2. Tanzen ist das einzige, was ich je gelernt habe. Bei einem brachialen Lehrer. Er war ein bemerkenswerter Mann, ein ehemaliger kaiserlicher Ballettmeister aus Russland. Er stellte einen an die Barre, legte einem das Stöckchen unters Bein, und wenn man nicht hoch genug kam, schlug er zu. Einmal zerfetzte er mir sämtliche Bänder. Ich war acht Wochen außer Gefecht. Im Nachhinein bedeutet das nichts, denn er brachte mir absolute Disziplin bei. Sie hat mir ein Leben lang gute Dienste geleistet. Glauben Sie nicht, man könnte so viele Jahre arbeiten und so viele Stürme überstehen wie ich, ohne diszipliniert zu sein.
3. Essen bedeutet mir nichts, ich verstehe nichts davon. Am Abend kleine, gekochte Kartoffeln mit fester, heller Schale wie chinesisches Elfenbein. Dazu Chutney. Chutney ist köstlich. Es ist imperial. Schmeckt nach Empire. Rajas, Maharajas … die große Zeit! Salat ist göttlich. Der BESTE Salat, das BESTE Fleisch, die BESTEN Früchte, das BESTE Gemüse….
4. Mein Erfolgsrezept? Ich habe einen Sinn für das Außergewöhnliche und Extreme, mache einen großen Bogen um alles, was populär ist. Ich bin ich, und ich bin der Allgemeinheit immer einen Schritt voraus. Was die Leute von einem Magazin erwarten, ist Meinungsstärke, ist ein Standpunkt. Die meisten Leute haben keine eigene Meinung. Ich souffliere sie ihnen, sage den Frauen, dass es richtig ist, ambitiös zu sein, exzentrisch, unangepasst und Aufmerksamkeit zu erregen. Ich schaffe Visionen und Phantasien, erlaube den Leserinnen zu träumen.
5. Meine Eltern waren amüsante Leute mit Freunden, die Häuser auf beiden Seiten des Atlantiks besaßen. Sie achteten darauf, dass ich lernte, einen Satz in einer Sprache zu beginnen und in einer anderen zu beenden. Im Nachhinein bewundere ich, wie sie mich erzogen haben. Eine richtige Schulbildung habe ich nie bekommen, meine Schule war die mondäne Welt.
6. 1914 zogen wir nach New York an die East 79th Street, fast direkt an der Kreuzung Park Avenue. Meine Schwester bewohnte mit ihrem Kindermädchen ein Stockwerk, ich mit meinem ein zweites. Am Abend durften wir meine Mutter in ihrem Ankleidezimmer besuchen. Sie zog sich vor dem dreiteiligen Spiegel zum Dinner um, und wir berührten die Musselin-, Gaze- oder Tüllschals, die sie sich um die Schultern legte. Meine Mutter war eine Schönheit, die Männer lagen ihr zu Füßen. Es gab viele Skandale wegen einer Liaison mit diesem oder jenem, kleine Zwischenspiele, die nichts weiter zu bedeuten hatten. Mein Vater fand ihre Eskapaden amüsant, sie waren Teil des Lebens, Teil der Gesellschaft.
7. Meine Mutter und ich verstanden uns nicht besonders gut, keine Seltenheit bei Müttern und Töchtern. Als Kind wusste ich nur, dass sie sich meiner schämte. Ich war immer ihr hässliches, kleines Monster mit dem Vogelkopf und dem viel zu großen Mund. Meine Schwester, vier Jahre jünger als ich, war mit ihren violetten Augen das schönste Kind im Central Park.
8. Ich hasste, was ich beim Blick in den Spiegel sah, bis ich Reed Vreeland heiratete. Ich traf ihn an einem 4. Juli auf einer Party in Saratoga. Wenige Monate später heirateten wir. Mein Kleid war aus weißer Spitze, hochgeschlossen, sehr streng, sehr moyen age. Um Kopf und Kinn trug ich ein Band aus Spitze wie ein mittelalterliches Burgfräulein. Reed war sehr still, sehr elegant, hatte den besten Herrenschneider und rauchte russische Zigaretten. Ein Mann, der niemals Sachen in seinen Jacketttaschen getragen und damit den Sitz seiner Kleidung beeinträchtigt hat. Seidenhemden, dezent gemusterte Arbeitshemden, Frackhemden, allesamt Maßanfertigungen, kaufte er in großer Zahl und bester Qualität, alles auf einen Schlag. Allein ihn anzusehen war schön. Er war der schönste Mann, den ich je gesehen hatte, und ich war für ihn die schönste Frau. Für mich besaß er unglaublichen Glamour, verstand es, auf stilvollste Weise Geld auszugeben. Wie man es einnahm, wusste er dagegen nicht.
9. Die Leute vergessen oft, dass ich eine Familie habe. Niemand hält mich für eine Frau mit Kindern. Man glaubt, ich würde mich ausschließlich für Kleidung interessieren. Was auch stimmt. Trotzdem sind mir meine Söhne wichtig. Ich konnte sie nur nicht ständig um mich haben. Zwei kleine Jungen, ich muss sagen, schöne Jungen. Keine Langeweiler, kein Durchschnitt. Zwei kleine englische Jungen in kurzen, grauen Flanellhosen, roten Seidenhemden und purpurroten Tweedmänteln mit Samtkragen. Ihre Suppen ließ ich aus dem Ritz kommen. Ich hatte ein englisches Kindermädchen und eine Bonne. Auf diese Weise sprachen die Kinder immer Französisch. An die Wand ihrer Kinderzimmer hängte ich jeweils eine Weltkarte. Wenn Reed und ich nach Tunesien fuhren oder nach Baden-Baden und zu den Schlössern von König Ludwig, zeigte ich ihnen vorher genau, wo diese Orte lagen. Nicht, dass es sie interessiert hätte, aber es hat dafür gesorgt, dass ihnen ein provinzieller Blickwinkel fremd ist.
10. Ich fuhr nach Paris und ließ mir bei Chanel meine Garderobe anfertigen. Coco Chanel war unvergleichlich. So pariserisch! Niemand anderes hatte dieses ganz bestimmte gewisse Etwas, dieses „Je ne sais quoi“, niemand anderes hatte diesen Chic. Vergessen Sie nicht, sie war Französin – durch und durch. Als wir uns Mitte der Dreißiger Jahre anfreundeten, konnte man sie kaum als Schönheit bezeichnen. Coco hatte einen dunkelgoldenen Teint, ein breites Gesicht mit einer Schnaubennase wie ein Jungstier und dunkeldubonnetrote Wangen. Mitglied der Pariser Gesellschaft wurde sie nur durch ihren Geist und ihren Geschmack. Und der war ausgesprochen formidabel. Sie war absolut unwiderstehlich, griff sich die Herzen der Männer, wrang sie aus und warf sie in die Gosse. Und natürlich war sie manchmal schlicht unmöglich. Sie hatte ein ausgesprochen böses Mundwerk. Coco war kein freundlicher Mensch – sie war ein monstre sacré, die boshafteste Frau der Welt. Eine derart kraftvolle Persönlichkeit habe ich nie wieder erlebt. Sie war aus dem Nichts gekommen, sehr reich geworden, und das hatte sie ganz allein geschafft. Natürlich hatte es in ihrem Leben Männer gegeben, die ihr geholfen hatten, aber jeden Cent, den sie einnahm, hatte sie selbst verdient.
11. Ich hatte gelernt, meine körperlichen Nachteile in Vorteile zu verwandeln. Wenn Du zu groß bist, mach Dich größer, trag hohe Absätze. Wenn Dein Hals zu lang ist, sei stolz drauf, mach ihn länger. Wenn Du eine zu lange Nase hast, reck sie in die Höhe und mach sie zu Deinem Markenzeichen.
12. Eines Abends im Sommer waren Reed und ich im Nachtclub auf dem Dach des St. Regis Hotels. Victor Lopez und sein Orchester spielten, wir tanzten einen langsamen Foxtrott. Ich trug ein weißes Spitzenkleid von Chanel und weiße Rosen im Haar. Die Chefredakteurin von Harper´s Bazaar beobachtete uns und erkundigte sich, wer wir seien. Auf der Stelle bot sie mir einen Job an, den ich annahm, weil ich sonst verhungert wäre. Glauben Sie mir: Ich brachte in New York Geld durch wie ein Alkoholiker eine Flasche Scotch.
13. Ich wäre gern Elizabeth I gewesen. Sie war phänomenal. Sie umgab sich mit Dichtern und Schriftstellern, lebte in Hampton Court und fuhr ein kleines Gespann gescheckter Ponys mit langem Schwanz. Der Schwanz und die Mähne waren passend zu Elizabeths Haarfarbe rot gefärbt. Elizabeth brauchte vier Stunden, um sich anzukleiden. Nicht die einzige Gemeinsamkeit zwischen uns.
14. In London betrieb ich ein exklusives, kleines Wäschegeschäft in Mayfair, wo ich Freundinnen Nachtwäsche verkaufte, die ich in einem spanischen Kloster anfertigen ließ. Eines Tages kam Wallis Simpson zur Tür herein. Sie wissen schon, die spätere Herzogin von Windsor. Wunderbare Frau. Unglaublich chic. Göttliche Beine. Sie wusste ganz genau, was sie wollte und orderte drei Nachthemden von größter Delikatesse. Das erste war aus weißem Satin. Dann ein Modell, dessen gesamter Ausschnitt aus Blütenblättern bestand, die aussahen, als würden sie leise im Wind wehen, wenn man sich bewegte. Das dritte Nachthemd war aus erlesenem Crepe de Chine. Zwei waren zartblau, eines weiß. Zu der Zeit hatte die spätere Herzogin ihren ersten Mann bereits verlassen und war alleinstehend. Sie hatte niemanden, der sie unterstützte, also war das eine große Ausgabe für sie. Die Nachthemden waren für einen ganz besonderen Zweck bestimmt: Der Prince of Wales hatte Wallis Simpson entdeckt. Sie ließ uns drei Wochen Zeit. „Das ist der Termin!“, sagte sie. „Das ist der Stichtag!“ Eine Woche verging, dann rief sie an. „Wie kommen Sie mit den Nachthemden voran?“ In der dritten Woche verging kein Tag ohne Anruf. Das gehörte zu den Vorbereitungen für ihr erstes Rencontre allein mit dem Prinzen auf dem königlichen Landsitz Fort Belvedere. Was folgte, war eine der erfolgreichsten Verführungen der Geschichte.
15. Ungeputzte Schuhe sind das Ende der Zivilisation. Mein Mann trug Schuhe aus Juchtenleder, und in London ließ er sie von unserem Butler fünf Jahre lang mit Sahne und Rhinozeroshorn polieren, damit das Leder aussah wie aus dem 18. Jahrhundert, ehe er sie anzog. Ich lasse meine Schuhe nach jedem Tragen cremen und polieren, einschließlich der Sohlen. Im Traum würde es mir nicht einfallen, Schuhe mit ungeputzten Sohlen zu tragen. Da geht man zum Dinner, hebt den Fuß, und die Sohle ist nicht makellos – wo kämen wir denn da hin? Nichts ist peinlicher als ungepflegte Sohlen. Und Schritte! Ich finde es vulgär, wenn eine Frau beim Gehen zu hören ist. Bei Soldaten mag das in Ordnung sein, aber in meiner Kindheit war das A und O einer guten Kinderstube, dass eine Frau leise auftrat.
Diana Vreeland (1903-1989) wurde als Kind wohlhabender britisch-amerikanischer Eltern in Paris geboren. Sie wuchs in Paris und New York auf. Ohne Schulabschluss absolvierte sie eine Ballettausbildung. Mit 18 heiratete sie den Bankier Thomas Reed Vreeland und zog 1929 mit ihm nach London, wo sie ihre beiden Söhne aufzog. Als sie 30 war, zog sie mit ihrer Familie nach New York zurück und bekam eine Stelle bei Harper´s Bazaar. Sie erfand die legendäre „Why don´t you“ – Kolumne, wurde nach 6 Monaten Moderedakteurin und ab 1940 Chefredakteurin. Von 1962-1971 war sie Chefredakteurin der amerikanischen VOGUE. Nach ihrer Entlassung begann sie mit 68 Jahren eine neue Karriere als Beraterin der Kostümabteilung des Metropolitan Museum of Art in New York. Sie kuratierte 15 innovative und aufsehenerregende Mode-Ausstellungen. Darunter “Balenciaga”, „The Glory of Russian Costume“, “Diaghilev”, “The Costumes of Royal India” und “The Imperial Style. Fashions of the Hapsburg Era”, in der die schwarze Bluse, in der Kaiserin Elisabeth von Österreich ermordet wurde, zu den Exponaten gehörte. Diana Vreeland verfasste die autobiographischen Bücher „Allure“ und „D.V.“
Quellen:
– Hampton, Mark and Wilson, Mary Louise: Full Gallop. Dramatists Play Service Inc., New York 1997.
– Immordino Vreeland, Lisa: Diana Vreeland. The Eye Has To Travel. New York 2012.
– Mackenzie Stuart, Amanda: Empress of Fashion. A Life of Diana Vreeland. New York 2012.
– Vreeland, Diana: D.V. New York 1984.
– Vreeland, Diana: Allure. Der Roman meines Lebens. München 2011.
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