Kürzlich bekam ich einen Anruf. Ein ehemaliger Kollege rief mich im Büro an. Wir hatten dreieinhalb Jahre denselben Arbeitgeber und in dieser Zeit ein Verhältnis zueinander entwickelt, dass ehrlich und freundschaftlich war. Bei halbheimlichen gemeinsamen Zigaretten sprach man über Privates und man litt zusammen in den wöchentlichen Abteilungsleiter-Meetings (Hunger und geistige Not). Vor über sechs Jahren hatte ich den Job gewechselt und wir uns nur noch ganz selten gesehen.
Zwischen Freude und Überraschung über den Anruf erfuhr ich von diesem ins Herz geschlossenen Ex-Kollegen, für den das Glas immer ein bisschen mehr leer als voll gewesen war, er habe vor ein paar Tagen einen Schlaganfall gehabt. Ob ich eine unserer Reha-Kliniken für seine Reha wirklich empfehlen könne. Glück habe er gehabt, keine körperlichen Ausfälle, und auch im Oberstübchen scheine alles auf dem vorherigen Level. Nur vier Jahre ist er älter als ich…
Mit der ehrlich gemeinten Empfehlung für die Reha-Klinik, nach der ich gefragt worden war, riet ich ihm, nun aus dem hoffentlich großen Rest vom Leben auch was zu machen. Mir war er immer ein bisschen zu zögerlich und duldsam gewesen, der liebe Ex-Kollege, anstatt dass er sich vom Leben das nahm, was er sich eigentlich wünschte. Hoffen wir, er tut es. Ich werde beizeiten nachhaken 😉
Bevor es mich dann morgen selbst trifft, dachte ich dann, sollte ich nicht nur schlaue Reden über das Leben anderer schwingen, sondern mich selbst prüfen. Wir alle sollten uns immer wieder prüfen, bevor der Sensemann ungebeten zu Besuch kommt. Nehmen wir uns vom Leben, was wir uns wünschen? Im Alltag, jeden Tag? Haben wir das Leben lieb genug?
Eine Checkliste…
Leben wir das Leben so, wie wir es wollen, oder versuchen wir, anderen zu gefallen? Wir sind keine Golden Retriever, deren Lebensinhalt es ist, gefallen zu wollen. Wir sind Menschen, denen es später keiner dankt, wenn wir nicht das tun, was uns gut tut. Weder unsere Kinder, noch unsere Partner, noch unsere Eltern und schon gar nicht unser Arbeitgeber werden es uns danken, verzichtet zu haben.
Schätzen wir, was wir haben? Wir haben ein gesundes Kind oder zwei oder drei, einen Job, der uns erfüllt, und einen Partner, den wir lieben. Wir leben in einem Land, das uns ermöglicht, alles irgendwie miteinander zu vereinbaren. Was wir tun, ist trotzdem klagen: Über Stress, zu wenig Zeit, zu wenig Schlaf, Haushalt, zu viel Arbeit,… Viel öfter sollten wir uns klar machen, dass wir haben, was viele gerne hätten und uns glücklich schätzen. Und nicht vergessen: Es war unsere eigene Wahl, so zu leben, wie wir leben. Falls nicht, siehe oben.
Üben wir uns auch mal in Gelassenheit? Unabänderliches – von ganz klein bis ganz groß, von Unordnung im Haus über nervige, gemeine oder ungerechte Mitmenschen bis hin zum Wesen der Menschheit überhaupt – sollten wir manchmal als gegeben hinnehmen und uns nicht über jeden Scheiß aufregen. Denn: Weinen und schreien bringt nichts, sage ich auch immer wieder zu meinem zweijährigen Sohn. Die Smarties bleiben in der Schublade und der doofe andere Junge will mit dir trotzdem nicht sein Spielzeug teilen. Lächle, zücke den inneren Mittelfinger, bleib cool, sei gelassen: Gewinne auf Dauer an Lebensqualität.
Respektieren wir andere Menschen mit ihren Eigenheiten und Lebensentwürfen? Auch wenn es schwerfällt: Falsche Partnerwahl, Rasen im Vorgarten zu akkurat oder zu schlampig, vegan oder Fleischfresser, sparsam oder verschwenderisch, mit dicken Beinen kurze Röcke, zehn Kinder in zwölf Jahren, Urlaub am Ballermann oder in Dubai, jeden Abend eine fette Grastüte zum Bier oder literweise Ingerwasser zum Glutenfreien – DAS GEHT UNS ALLES NICHTS AN! Jeder nach seiner Fasson, solange unschuldigen Dritten nicht geschadet wird.
Denken wir auch mal an andere? Ich bewundere jeden, der sich für andere Menschen engagiert. Ob Patenschaft in Afrika, freiwilliges soziales Jahr, Aufbau einer Suppenküche in Rumänien, vorlesen im Altenheim, dem Penner am Netto mal einen Euro geben, mit den Hunden aus dem Tierheim spazieren gehen – Hauptsache, wir verlieren nicht die aus dem Blick, die im Leben weniger Glück hatten.
Finden wir uns selber gut? Da wir für uns und unser Leben so ziemlich selbst verantwortlich sind (ich zumindest bin aus dem Alter raus, in dem ich meine Eltern noch für irgendwas verantwortlich machen kann, denn auch von Erziehung kann man sich jenseits der Mitte 20 emanzipieren) sollten wir uns auch so gut finden, wie wir sind. Sonst machts nämlich keiner. Von optischen Faktoren mal ganz ab (jedes Instagram-Sternchen lässt uns ja inzwischen wissen, dass unperfekt das neue perfekt ist und hält die vermeintliche Speckfalte in den Weichzeichner), sollten wir uns gut finden für unsere Stärken und Schwächen, unsere Leistungen im Job, unsere Kinder, unsere Erzeugnisse von Backergebnis über Gestricktes bis zu aufgegangenen Saaten im Gartenbeet und unsere hoffentlich gesunden Körper und Seelen, die uns dieses großartige Leben ermöglichen.