Kürzlich auf dem Geburtstag meiner Freundin Friederike. „Hast Du eigentlich ein Altersvorbild?“, fragte mich ein Gast. „Ganz einfach“, antwortete ich, „Alle Frauen, die im Alter noch tätig sind und selbstbestimmt nach ihren eigenen Regeln leben.“ Und fügte hinzu: „Dafür ist man nie zu alt.“
Ich war begeistert. Es ist nämlich fast mein Hobby geworden, Rollenvorbilder für mein eigenes Alter zu rekrutieren, also Frauen zu finden, die auch in ihren späteren Jahren noch unabhängig, lebensfroh und unkonventionell sind. Bei meiner Recherche stieß ich auf die amerikanische Malerin Georgia O´Keeffe (1887-1986). Als sie 86 Jahre alt war, verwitwet, kinderlos und mit einigen Milliönchen auf dem Konto, stand plötzlich ein junger Mann vor der Tür ihres Hauses in der Wüste New Mexicos und fragte bei der Haushälterin nach, ob man Arbeit für ihn habe. Er war 26 Jahre alt, groß, schlank und hatte einen dunklen Pferdeschwanz. Juan Hamilton. Er half in der Küche und im Garten, er schnitt die Hecken.
Juan Hamilton sprach Spanisch und konnte Schreibmaschine schreiben. O´Keeffe übertrug ihm Sekretariatsaufgaben. Sie unterhielt sich gerne mit ihm. denn er hatte Kunst studiert und Japan bereist, kannte einige Zen Gärten und interessierte sich für japanische Töpferei. Sie lud ihn ein, ihr bei den Mahlzeiten Gesellschaft zu leisten. Er war ein guter Zuhörer und hatte einen erfrischenden Humor. Er bewunderte sie und stellte Fragen zu ihrer Arbeit und ihrem Leben. Er brachte sie zum Lachen. Sie bekam wieder Lust zu reisen und lud den 60 Jahre jüngeren Mitarbeiter ein, sie nach Marokko zu begleiten.
O´Keeffes Umfeld war über den wachsenden Einfluss des charmanten, neuen Assistenten irritiert. Ihre Schwester Claudia bezeichnete ihn als „Gigolo“. Doch O´Keeffe ignorierte alle Warnungen. Bis jetzt hatte sie ihr Leben unabhängig und selbstbestimmt gelebt. Sie hatte sich durch nichts begrenzen lassen, weder durch ihre Rolle als Frau noch durch ihr Alter und schon gar nicht durch die Erwartungen anderer. Sie machte Hamilton das Angebot, bei ihr einzuziehen. Da er ablehnte, unterstützte sie ihn finanziell beim Kauf und Umbau eines Hauses in einem Nachbarort. In den darauf folgenden zehn Jahren bis zu ihrem Tod war er immer an ihrer Seite, obwohl er zwischenzeitlich geheiratet und eine Familie gegründet hatte.
Hamilton bestärkte sie auch darin, ihr Leben aufzuschreiben und half ihr beim Verfassen ihrer Autobiographie, die sie 1976 veröffentlichte. Er las der zunehmend gebrechlicher werdenden Freundin aus der Zeitung vor. Er schnitt das Roastbeef auf ihrem Teller klein. Er hörte Beethovens Klaviersonaten mit ihr an. Zu ihrem 96. Geburtstag fuhr er mit ihr, seiner Frau und seinen beiden Kindern nach Costa Rica. Am Ende war er ihr einziger Vertrauter. Sie machte ihn zum Verwalter ihrer finanziellen Angelegenheiten, erteilte ihm Prokura und setzte ihn in ihrem Testament als Haupterbe ihres Vermögens im Wert von 76 Millionen Dollar ein, wogegen ihre Familie erfolgreich prozessierte.
Die letzten eineinhalb Jahre ihres Lebens verbrachte O´Keeffe auf der Hacienda „Sol y Sombra“ in Santa Fe. Sie hatte das Anwesen für drei Millionen Dollar für Juan Hamilton gekauft. Es bestand aus einem Haupthaus, mehreren Gästehäusern, einem Studio und einer großen Garage. O´Keeffe bezog einen Raum im Erdgeschoss, der über ein Bad und einen eigenen Eingang verfügte. Rund um die Uhr wechselten sich mehrere Krankenschwestern bei ihrer Betreuung ab. Manchmal schaffte sie es, aus dem Bett aufzustehen und ein paar Schritte bis in den Garten zu gehen. Hamilton hatte vor ihrem Fenster eine ihrer Skulpturen aufbauen lassen. Einmal lud er ein Kammerorchester ein, das für sie spielte. Eines Abends im März verstarb sie im Schlaf. Sie war 98 Jahre alt.
Haben Sie schon eine Vision für Ihr Alter? Was kann die Alternative sein zum Doppelzimmer im Altersheim? Eine Alters-WG mit Gleichgesinnten? Leben im Hotel? So schlug es mir eine Interviewpartnerin vor. Verraten Sie mir gern Ihre Tipps. Ich bin sehr interessiert. Jedes Jahr ein bisschen mehr.
Mehr über die herrlich extravagante Georgia O´Keeffe finden Sie hier.
Und hier geht es zu meiner Interviewpartnerin Helen Prinzessin zu Oettingen-Wallerstein, die gerne ihre späten Jahre im Luxushotel verbringen würde.