Nein, viel zu sehen gab es nicht. Die Sonne ging auf, die Sonne ging unter. In der Zwischenzeit blickten wir in unsere Bildschirme und am Abend auf die Mattscheibe des Fernsehers.
Warum ich hier so begeistert gucke? Weil die Museen nach dem Lockdown wieder öffnen. Endlich! Endlich haben wir wieder einmal Kunst gesehen und spätestens da gemerkt, wie sehr sie uns in den letzten Monaten gefehlt hat. Wie schön es für die Seele und den Kopf ist, den engen Rahmen der eigenen kleinen Welt zu verlassen und den Horizont zu weiten. Wie anregend und wie tröstlich!
Wir waren in der Ausstellung „Lover´s Material“ von Monica Bonvicini. Die feministische Künstlerin aus Venedig (geb. 1965), die seit 2017 an der Universität der Künste Bildhauerei unterrichtet und in Berlin lebt und arbeitet, zeigt ihre Installationen in der Kunsthalle Bielefeld. Die Künstlerin setzt sich seit den 1980er Jahren mit Geschlechterrollen auseinander. Sie hat u.a. den Goldenen Löwen der Bienale in Venedig gewonnen.
Kritiker beschreiben die Arbeiten von Bonvicini als provokativ. Eine der ersten Werke im 1. Stock der Kunsthalle verdeutlicht das. Auf den ersten Blick zeigt es eine goldene Hand, die nach oben geöffnet ist. Donald Trump hat kurz vor seiner Wahl zum Präsidenten der USA stolz verkündet, wenn ein Mann berühmt sei, müsse er nicht mehr fragen. „You just grab them by the pussy.“ Er wurde gewählt, trotz dieser und anderer frauenfeindlicher Aussagen. Auch von Frauen. In ihrer Arbeit „Grab them by the balls“ hat Monica Benvicini diese Aussage umgedreht.
Klein könne sie nicht, hat die Künstlerin einmal gesagt. Im Hauptraum der Ausstellung im 1. Stock liegt die raumfüllende Arbeit „Breach of Decor“ auf dem Boden. Sie besteht aus bedruckten Teppichen, die wie ein Mosaik zusammengefügt sind. Gut 60 Fotografien von Hosen, die auf verschiedenen Untergründen liegen, werden zum Fußboden des Museums. Die Künstlerin hat als Rohmaterial Fotos von ihren eigenen Jeans genommen, die sie sich in Hotelzimmern abgestreift und auf dem Boden fotografiert hat. Hosen durften lange Zeit von Frauen nicht getragen werden. (Noch in meiner Kindheit gab es ein Gymnasium in Bielefeld, auf denen es Schülerinnen verboten war, sie zu tragen.) Heute stehen Hosen für weibliche Selbstbestimmung. Das Ausziehen von Hosen steht für das Nachhausekommen in einen vertrauten Raum, den Eintritt in eine intime Welt. Werden die Jeans der Künstlerin wie hier im öffentlichen Raum präsentiert, kann das als Geste der Reviermarkierung interpretiert werden.
Die Wandinstallation „Never tire“ besteht aus Zeichnungen, die Bonvicini während der Zeit des Lockdowns konzipiert hat. Aus den diffusen Farbfeldern im Hintergrund treten korallenrot und pink leuchtend Maschendraht, Ketten und Textzeilen hervor. Es handelt sich um Zitate u.a. von James Baldwin und Roland Barthes, die Rollenverständnisse hinterfragen. „Take your anger to work.“
Die Ausstellung ist eine großartige Erfahrung, auch eine körperliche Erfahrung. Der Betrachter steht vor einer großen Installation aus Aluminium, in der er sich spiegelt. Er geht über den riesigen Jeans-Teppich. Er geht durch die herrlichen Räume des Philip Johnson-Baus der Kunsthalle. Spätestens dann spürt er, was vielleicht fast vergessen hatte: Der Mensch braucht die Kunst.
Die Ausstellung ist noch bis zum 30. Mai geöffnet. Vielleicht. Hoffentlich.
Wenn Sie mehr über die Künstlerin erfahren möchten, empfehle ich Ihnen das Interview von Rebecca Casati mit Monica Benvicini im Grisebach-Podcast „Die Sucht zu sehen“.