Ein Neuzugang in meinem Kleiderschrank lässt mich über diese Frage nachdenken: Kann ich mit 70 noch einen Minirock tragen? Oder mache ich mich lächerlich, wenn ich mich für ein Kleidungsstück für 20-Jährige entscheide?
Es ist interessant, wie positiv das Tragen des knappen, tomatenroten Röckchens meine Stimmung beeinflusst. Ich fühle mich darin sofort dynamischer und beschwingter. Da ich, und da geht es mir wie jeder anderen Frau, nicht jeden Tag gut gelaunt bin, sondern gerade in der dunklen Jahreszeit häufig gestresst und energielos, kann so ein Griff in den Kleiderschrank ein Frischekick sein. Dabei muss es sich nicht notwendigerweise um einen kurzen Rock handeln, es kann auch ein anderes ausgefallenes Kleidungsstück sein, das nicht zu übersehen ist, oder ein Teil mit besonderer Geschichte, das die Stimmung hebt und allen zeigt, dass man sich in seiner Haut wohl fühlt.
Es gibt Zeiten im Leben, an denen jeder Schritt aus dem Sessel oder vom Sofa zu einer Herausforderung wird. Ich kann gut verstehen, wenn sich eine Frau an solchen Tagen in den knöchellangen Faltenrock und das karierte Holzfällerhemd einmummelt. Lieber untertauchen, ganz in Schwarz und im besten Fall unsichtbar beim Gang durch die Stadt. Aber ich finde es genauso akzeptabel, wenn eine ältere Frau ihre Zurückhaltung aufgibt und ein modisches Statement setzt, wenn sie Selbstbewusstsein überstreift und zum Beispiel ein prächtiges Paillettenkleid und extravagante Schuhe anzieht und damit Licht und gute Laune in ihr Leben trägt. Das mag man als modischen Eskapismus bezeichnen, doch solche Exitstrategien können uns manchmal ganz gut tun. Warum sollte man nicht mal die Regeln brechen? Klingt nach einem guten Vorsatz fürs neue Jahr? Nur zu.
Doch einige sehen das anders.
Zum Beispiel Alexandra Shulman, 25 Jahre lang Chefredakteurin der britischen Vogue. Sie fand Ende April in ihrer Kolumne in der Daily Mail kritische Worte zur Kleiderwahl der 50-jährigen Helena Christensen. Das dänische Model hatte in einer an Dessous erinnernden, schwarzen Spitzencorsage eine Geburtstagsparty besucht. Da Christensen sich nicht mehr im gebärfähigen Alter befinde, so Shulman, solle sie doch bitte auch keine Signale aussenden, die dies suggerierten. Das sei nur „tragic“.
Dieser Gedanke ist keinesfalls neu: „Die Frau, die in reifen Jahren ein erkünsteltes, erzwungenes Jungsein zur Schau trägt, die auf dem Sportplatz oder im Ballsaal durch übertriebenes Betonen ihrer Jugend auffällt, ist eine alltägliche Erscheinung. Dass sie lächerlich wirkt, ist ihr Unglück“, schrieb der Stuttgarter Nervenarzt Alfred Dannhauser 1928 in seinem Buch „Die Tragödie der Frau“.
Dabei hat die Modeindustrie gerade eine ganz andere Aussage parat: Noch nie waren so viele nicht mehr ganz faltenfreie Frauen auf Werbeplakaten zu sehen. Schauspielerinnen im sogenannten mittleren Alter wie Halle Berry, Nicole Kidman und Naomi Watts bekommen Rollenangebote in Filmen und Serien, von denen ihre Kolleginnen im gleichen Alter vor zehn Jahren nur träumen konnten. „Best Ager“ wie die Modejournalistin Anna Dello Russo und die Autorin Sophie Fontanel zeigen auf Instagram, dass ein modischer Auftritt kein Alter kennt.
Auch große Modeanbieter sind sich einig: Das Interesse älterer Menschen an Kleidung ist gestiegen – und gleichzeitig verschwinden die Altersgrenzen.
Der Moderiese H&M schreibt: „Zur Zielgruppe von H&M gehört jeder, der ein Interesse an Mode mitbringt, dabei spielt das Alter keine Rolle.“ Wie schön, dass der aktuelle Trend zu weit geschnittenen Hosen, Hemdblusen und Turnschuhen Frauen jeden Alters adressiert, die sich nicht allzu körperbetont kleiden wollen.
Die Edel-H&M-Tochter COS ist voll von asymmetrischen Flattergewändern, die an die Reformkleider der 1920er Jahre erinnern. Sie werden von 20-Jährigen ebenso gekauft wie von 70-Jährigen. Zudem wurden modische Kleider in den letzten Jahren immer bequemer. „Athleisure“ heißt der Trend, der die Grenzen zwischen Sport- und Alltagsmode aufgehoben hat. Jeans sind dank hohem Stretchanteil so bequem wie Jogginghosen. Ein Sneaker gilt inzwischen als Schuh, mit dem man eine Bank oder das Opernhaus betritt und sogar zum Vorstellungsgespräch geht. Für Frauen meiner Generation war das noch unvorstellbar. Doch eins ist mal klar: Damit ist es einfacher geworden, sich trendgerecht zu kleiden, selbst in einem Alter, wenn einen schon das ein oder andere Zipperlein plagen mag.
Helena Christensen antwortete übrigens auf Alexandra Shulmans altersdiskriminierenden Angriff auf Instagram, wie ich finde, sehr cool mit einem Appell an alle Frauen für mehr gegenseitige Unterstützung.
Ältere Frauen und ihre Kleidung sind ein Thema, über das wir häufig hier im Blog diskutieren. Zum Beispiel hier: https://stylerebelles.com/frauen-60plus-was-ihre-kleidung-so-interessant-macht/
Liebe Ursel Braun,
Der Rock steht Ihnen ausgezeichnet, weil die Proportionen stimmen und die Figur sehr harmonisch aussieht. Damit erübrigt sich die Frage nach dem Alter.
Vielen Dank für Ihren tollen Blog. Sie haben mich schon oft inspiriert, wenn ich mal wieder mit wechseljahrsbedingten Figurveränderungen haderte, die Flinte nicht ins Korn zu werfen und den Spaß an der Mode zu behalten. Machen Sie weiter so!
Viele Grüße
Sabine
Autor
Sehr herzlichen Dank für diese tolle Feedback!
Liebe Ursel Braun,
schließe mich uneingeschränkt der Leserin oben an. Passt doch! Wenn man sich ein bisschen, mal ein bisschen mehr, mal ein bisschen weniger, mit Mode, Stil und der eigenen Figur befasst und über die Jahre seinen eigenen Stil entwickelt, dann geht doch alles. Also: Weitermachen!
Autor
Vielen Dank, liebe Iris. Ich finde auch, dass Mode/Kleidung/die eigene Figur schon wichtig sind, aber nicht zum Lebensmittelpunkt werden sollten. Deshalb gefällt mir gut, dass Sie von „ein bisschen mehr, ein bisschen weniger“ sprechen.
Danke für die Rückmeldung und herzliche Grüsse!
Liebe Ursel Braun, der Rock sieht fantastisch aus. Ein großes Stilvorbild für Eleganz mit 60+ ist meiner Ansicht nach Brigitte Macron. Kurze Röcke gehen immer, wenn die Strumpfhose hochwertig ist. Im übrigen gefallen mir auch die Pumps und die Handtasche sehr. Weiter so! Liebe Grüße! Charlotte
Autor
Vielen Dank für Ihre Rückmeldung und den Hinweis auf Brigitte Macron. Ich stimme Ihnen zu, dass Sie ein gutes Stilvorbild ist. Nicht umsonst gilt sie in Frankreich als Stilikone. Wobei man die Premiere Dame sicher unterschätzen würde, wenn man sie auf ihren
Stil reduzierte.
Ja, kann man doch ganz wunderbar tragen. Als ich jung war ( bin 70) wäre dieser Rock aber nur als kniefrei bezeichnet worden. Mini war schon noch deutlich kürzer. Liebe Grüße
Autor
Liebe Beatrix, „Mini“ ist wohl auch heute deutlich kürzer. „Kniefrei“ wäre die angemessene Bezeichnung gewesen. Daher danke für Ihren Hinweis und herzliche Grüsse.
uneingeschränkt: si, sempre!
Autor
Merciiii!